Als Arieh Gelber, Kantor der Jüdischen Gemeinde Hamburg, zu singen anfängt, wird es still im Thalia Theater. Nach seinem bewegenden Vortrag brandet begeisterter Beifall los. Die Besucher der ersten Langen Nacht der Weltreligionen konnten Einblicke in die drei großen Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam erleben. Im Rahmen der Lessingtage lasen Schauspieler am Samstagabend ausgewählte Texte aus der hebräischen Bibel, dem Neuen Testament und dem Koran. Ein Koranrezitator, der jüdische Kantor, die evangelische Bischöfin Maria Jepsen und der katholische Erzbischof Werner Thissen trugen Texte auf Hebräisch, Altgriechisch und Arabisch vor.
"Das ist eine außergewöhnliche Nacht. Zum ersten Mal kommen die Vertreter der drei großen Weltreligionen in einem Theater zusammen. Das ist ein großes, nicht zu unterschätzendes Zeichen", sagte Thalia-Intendant Joachim Lux zur Begrüßung. Dass das Theater voll besetzt ist, zeige, "dass die Offenheit für andere Kulturen tatsächlich da ist", meinte Lux. In Einführungsdialogen stellte er zusammen mit Prof. Wolfram Weiße vom "Interdisziplinären Zentrum Weltreligionen im Dialog" Fragen an die jeweiligen Religions-Experten zu Themen wie Wahrheit, Entstehungsgeschichte der Schriften und Dialog mit anderen.
"Ich glaube nicht, dass man die Wahrheit besitzen kann", meinte die islamische Theologin Halima Krausen bei der Einführung zum Islam, der entgegen der Entstehungszeit als erstes vorgestellt wurde. Gegen einen Vortrag des Korans außerhalb der Moschee hatte die Theologin nichts einzuwenden. "Der Koran wird auch bei Familienfeiern gelesen." In dem Buch stehe auch etwas über Maria und Jesus, das wüssten die meisten Menschen nicht. Tatsächlich kamen auch Christen einige Passagen bekannt vor: die Geschichte von der Erschaffung des Menschen, von Joseph und seinen Brüdern, das Gleichnis von den sieben fetten Kühen und die Passage aus dem Evangelium Matthäus: «Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt» - sollten im Laufe des fünfstündigen Abends auch an anderer Stelle auftauchen.
Die gleichen Propheten
"Wir haben die gleichen Propheten. Der Koran erzählt auch die Geschichten von Jesus und Moses", meinte die Tochter des islamischen Theologen Abu Ahmed Jakobi, Baraah Jakobi. Nur sei Jesus für Muslime ein Prophet und nicht der Sohn Gottes - und Mohammed der Prophet, der "alles vollkommen gemacht hat". Sie sieht den Abend als Möglichkeit, "sich kennenzulernen, Vorurteile abzubauen und Gemeinsamkeiten zu betonen". Das würde bisher nur im kleinen Kreis und selten an so einem öffentlichen Ort getan. "Die drei großen Religionen haben alle den gleichen Ursprung. Wir müssen uns nicht bekriegen, wir sind Geschwister und gehören zusammen", meinte die 29-Jährige.
Christiane Brück ist von der "tollen Initiative" begeistert. "Das weckt Interesse und gibt Nachdenk-Futter", meinte die 48-Jährige. "Das ist ein Anfang. Ich fände es schön, wenn die Idee weitergeführt wird und auch Streitpunkte zwischen den Religionen angesprochen werden", meinte die wissenschaftliche Angestellte. Ihre Freundin Sonja Vogt ergänzt: "Ich versteh kein Arabisch, aber bin trotzdem gefesselt. Das bringt einem die Religion ein Stück näher." Eine jüdische Lehrerin, die in einem Hamburger Problembezirk mit 70/80 Prozent muslimischen Schülern unterrichtet, holt die Realität zurück. Sie will ihren Namen nicht nennen - aus Angst vor ihren Schülern, die nicht wissen, dass sie Jüdin ist. "Bei manchen meiner Schüler grassiert Jude nur als Schimpfwort."