Mutmaßlicher Mordplan gegen Zeugen Jehovas vor Gericht

Mutmaßlicher Mordplan gegen Zeugen Jehovas vor Gericht
Es sind ungeheuerliche Vorwürfe: Einen Amoklauf, ein wahres Blutbad soll ein Rentner unter den Zeugen Jehovas in Bielefeld geplant haben. Mehr als 80 Anhänger der Religionsgemeinschaft hatten sich an einem Juliabend im vergangenen Jahr in einem Gemeindesaal versammelt. Dann die bizarre Szene: Ein 82 Jahre alter Mann läuft plötzlich herein, vermummt mit Schal und Mütze, in der Hand eine Maschinenpistole.
25.01.2010
Von Matthias Benirschke

Was hatte er vor? Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, er wollte möglichst viele der Anwesenden "heimtückisch erschießen". Doch die Waffe versagte, der Mann wurde überwältigt. Auf 81-fachen versuchten Mord lautet die Anklage. Am Montag startete der Prozess vor dem Landgericht Bielefeld - wurde allerdings dann kurz nach Beginn auf den 4. Februar vertagt, weil der Verteidiger noch einen anderen Termin wahrnehmen musste. Zuvor entschuldigte sich der Angeklagte.

Unklar ist, warum sich kein Schuss löste. Technisches Versagen ist möglich. Oder kam der Rentner nicht mit der Technik zurecht? Es war eine tschechische Waffe vom Typ Skorpion VZ 61 mit Schalldämpfer. An einem Hebel wird die Waffe gesichert und entsichert und man kann Einzel- oder Dauerfeuer damit einstellen. Drei Magazine Munition hatte der Mann bei sich, außerdem ein Klappmesser.

"Abgrundtiefer Hass" - Tochter ist bekennende Zeugin Jehovas

Als die Waffe versagt, schlägt der Mann sie zweimal gegen die Tür, wohlmöglich um eine technische Blockade zu lösen. Dann kehrt der Rentner unvermittelt um und geht zu seinem Auto. Zwei der Zeugen Jehovas überwältigen ihn. Niemand wird verletzt. Im Wagen finden die Beamten später einen sogenannten Totschläger, ein Samuraischwert, ein Jagdmesser und einen Benzinkanister.

Als Motiv vermutet die Anklage Rache: Der gelernte Maurer und langjährige Justizvollzugsbeamte soll die Zeugen Jehovas für die Entfremdung zwischen ihm und seiner Tochter verantwortlich gemacht haben. Dies gehe aus handschriftlichen Aufzeichnungen des heute 83- Jährigen hervor, die Ermittler noch in der Nacht nach der Tat in der Wohnung des Mannes in Halle bei Gütersloh fanden, sagt Staatsanwalt Klaus Metzler. Darin sei auch von "abgrundtiefem Hass" die Rede.

Die Tochter ist seit Jahrzehnten bekennende Anhängerin der umstrittenen Glaubensgemeinschaft. Der Anwalt des Angeklagten, Werner Robbers, hält dem entgegen: "Vater und Tochter haben guten Kontakt." Und er warnt vor einer Vorverurteilung.

Vorwürfe und erfolgreiche Gegenwehr

Immer wieder tauchen schwere Vorwürfe gegen die Zeugen Jehovas auf. Einige Wissenschaftler, Sektenexperten und ehemalige Mitglieder bezeichnen sie als totalitäre Gruppe, die ihre Anhänger systematisch beeinflusst. Vor allem Austrittswillige würden psychisch unter Druck gesetzt. Wiederholt hat sich die Glaubensgemeinschaft gegen solche Vorwürfe in Prozessen erfolgreich gewehrt.

Die Gemeinde in Bielefeld-Sennestadt ist nach eigenen Angaben 1967 gegründet worden und versammelt sich seit mehr als 20 Jahren in dem Königreichssaal. Im Raum Bielefeld gebe es etwa 2500 Zeugen Jehovas in 28 Gemeinden.

Bislang hat der heute 83-Jährige in den Vernehmungen der Polizei geschwiegen. Nach der Tat habe er gesagt, er habe niemanden töten wollen. Dem Psychiater habe er eine hanebüchene Geschichte erzählt, eher ein Märchen, sagte Metzler, ohne Einzelheiten zu nennen. Anwalt Robbers kündigte an, sein Mandant werde sich voraussichtlich auch im Prozess nicht äußern. Bis Mitte April sind insgesamt sieben Verhandlungstage angesetzt.

dpa

Mehr Informationen zu den Zeugen Jehovas im Internet:
Die Zeugen Jehovas - Kompaktinfos der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (pdf)