evangelisch.de: Vergangene Woche äußerten Sie sich mit Blick auf Margot Käßmanns Afghanistan-Standpunkt skeptisch - befürworteten aber die offene Auseinandersetzung und dass eine Bischöfin eine solche anstößt. Nun hat sich der katholische Ruhr-Bischof Franz-Josef Overbeck im Deutschlandfunk deutlich von Käßmann abgesetzt: Derartig konkrete Aussagen seien für die Kirche nicht klug, die EKD habe "radikale Schlussfolgerungen" angestellt. Ist Overbeck nun klüger - oder scheut er nur den Konflikt?
Ernst Elitz: Weder der Gesetzgeber noch der liebe Gott präsentieren uns ein Handbuch des guten Gewissens, in dem es auf jede Frage die ultimative superschlaue Antwort gibt. Und Overbeck ist weder klüger noch konfliktscheu. Margot Käßmann hat eine Gewissensfrage gestellt. Um eine Gewissensfrage zu beantworten, bedarf es des klugen Abwägens von Argumenten und des Gesprächs mit Gleichgesinnten und Menschen anderer Auffassung. Das ist schon mal die eine Voraussetzung. Aber es gibt noch eine andere Dimension: Jede Gewissensentscheidung ist geprägt von ganz persönlichen Erfahrungen und einem individuellen Gefühl für Recht und Unrecht. Dabei kommt Overbeck zu einem anderen Ergebnis als Käßmann. Er gesteht den politischen Entscheidern in militärischen Fragen einen größeren Spielraum zu und setzt auf ihre politische und moralische Kompetenz. Aber das ist weder ein "katholisches" Ergebnis, noch ist es von größerer Klugheit gezeichnet. Viele Katholiken werden eher der EKD-Vorsitzenden zuneigen als ihrem Bischof, und umgekehrt. Solche Auseinandersetzungen schärfen das Gewissen und machen uns bewusst, welch hohes Gut die persönliche Gewissensentscheidung ist. Man sollte Gewissensentscheidungen achten, aber muss muss sie nicht unwidersprochen hinnehmen – sie sind nicht gottgegeben. Sie sind im Menschen gewachsen.
evangelisch.de: Immer zu Jahresanfang blickt das politische Deutschland in den tiefen Süden, nach Wildbad Kreuth. Die CSU, lange an absolute Mehrheiten gewöhnt, kommt in einer neuen Umfrage auf gerade mal noch 41 Prozent - und viele Beobachter sind der Meinung, dass es für die Christsozialen an allen Ecken bröckelt, nicht nur wegen des BayernLB-Debakels. Parteichef Horst Seehofer indes lächelt alle Krisenstatements weg und gibt sich sogar mit dem Umfragewert zufrieden. Macht das Sinn? Oder was treibt den Mann?
Elitz: Er will überleben. Und kein Politiker – erst recht kein bayerischer Politiker – kann überleben, wenn er ständig Bußübungen macht. Stimmt ja auch, er muss eine Knödelsuppe auslöffeln, die ihm seine Vorgänger angerichtet haben. Aber dass er als Prinz Wankelmütig auftritt, mal für Steuersenkungen ist, mal dagegen, dass er heute mit der FDP koaliert, morgen die Liberalen öffentlich vorführt, um schliesslich mit dem FDP-Chef vor der Presse als Duo "Horst und Guido" aufzutreten, das war sein ganz persönlicher Beitrag zum Stimmungsabschwung bei der CSU. Hält er die 40 Prozent, dann bleibt er trotz allen Ungemachs Quotenkönig der Union; das Ergebnis ist für Frau Merkel unerreichbar.
evangelisch.de: Am Wochenende startet im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres das Pop-Oratorium "Die 10 Gebote", das von der Geschichte des Volkes Israel vom Auszug aus Ägypten und vom Empfang der Gebote erzählt. Haben Sie ein Lieblingsgebot unter den zehn? Welches tut in unserem Land, hier und heute, besonders not?
Elitz: Das Zweite: Du sollst den Namen des Herrn nicht missbrauchen. Es ist schon peinlich, wie die Parteien das Wort "christlich" okkupieren. Einige Unions-Leute wollen definieren, was "christliche Werte" sind und meinen doch nur ihren bürgerlichen Lebenskodex. Frau Nahles erinnert sich an ihre Zeit als weihrauchfaßschwenkende Messdienerin. Ich würde mich nicht wundern, wenn die Linken-Fraktion demnächst um eine Papst-Audienz bittet. Christlich scheint die Farbe der Sympathie zu sein. Aber da Christen in politischen Fragen durchaus unterschiedlicher Meinung sein können – siehe Afghanistan – sollten die Parteien auf diesen PR-Gag verzichten.
Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.