Datensammelwut des Staates gefährdet Journalismus

Datensammelwut des Staates gefährdet Journalismus
Immer neue Sicherheitsgesetze gefährden den investigativen Journalismus. Das Verfassungsgericht hat die Chance, die Pressefreiheit zu retten.
15.12.2009
Von Henrik Schmitz

Seit 2008 ist es für Journalisten schwieriger, Informanten zu schützen. Seither müssen Telekommunikationsunternehmen sechs Monate lang speichern, wer wann mit wem über Telefon, Handy und E-Mail in Verbindung stand. Bei Gesprächen über das Handy wird sogar der Standort des Anrufers
festgehalten.

Wer Sakndale aufdecken will, ob in Politik oder Wirtschaft, ist auf Informanten angewiesen. Und der Informant, so sagte es einmal Hans Leyendecker von der "Süddeutschen Zeitung", ist ein scheues Reh. Wer nicht sicher gehen kann, dass die eigene Identität geheim bleibt, wenn er brisante Informationen weitergibt, wird einem Journalisten eben diese Informationen nicht geben. Ohne solche Zuträger gibt es aber keinen investigativen Journalismus und damit letztlich auch keine "vierte Gewalt". Eine Instanz also, die den Mächtigen auf die Finger schaut.

Schnellebigkeit des Journalismus

Im Fall der Vorratsdatenspeicherung müssen sich Politiker einmal mehr die Frage gefallen lassen, welchen Wert sie dem aufdeckenden Journalismus in diesem Land überhaupt noch zumessen. Beschwerden über "Krawalljournalismus", unsaubere Recherche und eine zunehmende Schnelllebigkeit des Journalismus, bei der heute die eine und morgen die andere Sau durchs Dorf gejagt wird, mögen berechtigt sein.

Doch mit immer neuen Sicherheitsgesetzen - die Vorratsdatenspeicherung ist ein Beispiel, Gesetze zu Lauschangriffen ein anderes - nun ausgerechnet den Journalisten Steine in den Weg zu legen, die ihre
Aufgabe als Vierte Gewalt ernst nehmen ist kurzsichtig. Die Vorratsdatenspeicherung, die die Kriminalität bekämpfen soll, bewirkt im schlimmsten Fall das Gegenteil, wenn beispielsweise die Recherchen zum Thema Korruption deutlich schwerer werden.

Neues Privileg?

Als die Vorratsdatenspeicherung 2007 beschlossen wurde, verwies die Bundesregierung darauf, schon das  damals geltende Recht sehe vor, dass die Strafverfolgungsbehörden auf der Grundlage eines gerichtlichen Beschlusses von den Unternehmen Auskunft über gespeicherte Verkehrsdaten verlangen  dürften, wenn dies zur Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung erforderlich sei. Die damalige  Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) sagte gar, die "Privilegien" der Journalisten würden eher ausgeweitet.  Alle Ermittlungsmaßnahmen seien, soweit sie Medienmitarbeiter beträfen, nur zulässig, wenn die  Maßnahme unter Berücksichtigung der Pressefreiheit verhältnismäßig sei.

Die Vorratsdatenspeicherung als Privileg für Journalisten zu sehen, ist allerdings mehr als gewagt.  Tatsächlich durften Ermittlungsbehörden schon vor 2008 von Unternehmen Zugriff auf Verbindungsdaten verlangen. Die Unternehmen durften bis dato aber nur die Daten speichern, die sie für  Abrechnungszwecke benötigten. Bei den üblichen Flatrates fielen und fallen einzelne  Gesprächsverbindungen nicht darunter. Daten aber, die nicht vorhanden waren, hätten nicht abgefragt  werden können. Mit der Vorratsdatenspeicherung sieht dies anders aus.

Auch die im Gesetz vorgesehene "Verhältnismäßigkeit" mag gut gemeint sein, bringt aber erhebliche  Probleme mit sich. Denn was verhältnismäßig ist, entscheiden die jeweiligen Richter, die die Genehmigung  für eine Überwachung erteilen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es Richter gibt, die es beispielsweise  "verhältnismäßig" finden, die Verbindungsdaten der "Dresdener Morgenpost" zu kontrollieren, um  herauszufinden, wer einem Journalisten den Tipp gegeben hat, wann beim ehemaligen sächsischen Wirtschaftsminister eine Hausdurchsuchung stattfindet. Von trauriger Berühmtheit ist auch der Fall "Cicero".  Die Redaktion des Magazins war durchsucht worden, nachdem ein Artikel erschienen war, indem   angebliche Interna des Bundeskriminalamts ausgebreitet wurden.

Formale Kriterien nicht erfüllt

Es mangelt in Deutschland eben nicht unbedingt an gesetzlichen Hürden bei Ermittlungsverfahren, die den Schutz von Journalisten berücksichtigen. Auch das Bundesverfassungsgericht betont den Wert der Pressefreiheit regelmäßig - zuletzt im Fall Cicero und auch, als es im März in einer Eilentscheidung die Vorratsdatenspeicherung begrenzte. Aber es mangelt an der praktischen Umsetzung der Vorgaben aus Berlin und Karlsruhe. Eine Studie des Max-Planck-Instituts für internationales Strafrecht kommt zu dem Schluss, dass bei etwa 70 Prozent aller richterlichen Anordnungen formale Kriterien nicht erfüllt sind.

Es ist also damit zu rechnen, dass auch künftig Richter den Zugriff auf Daten von Journalisten durchaus erlauben, weil sie dies für verhältnismäßig halten. Sind die Daten erst einmal ausgewertet, und mit ihnen vielleicht ein Informant enttarnt, nutzt es dem Journalisten und seiner Quelle herzlich wenig, wenn eine höhere Instanz die Datenerhebung im Nachhinein für unrechtmäßig erklärt. Das Kind ist zu diesem Zeitpunkt längst in den Brunnen gefallen.

Pressefreiheit nicht schützenswert?

Bevor also Gesetze erlassen werden, die den Bestand persönlicher Daten noch ausweiten, muss dafür gesorgt werden, dass das, was Gesetz wird, auch rechtmäßig angewandt wird. Nicht nur Politiker, sondern offenbar auch einige Richter empfinden die Pressefreiheit nicht als besonders schützenswert. Die Pressefreiheit ist aber erst wieder sicher, wenn es zu einem Sinneswandel gekommen ist. Bis dahin dürfen eben keine Datensammlungsgesetze - ein solches ist die Vorratsdatenspeicherung - verabschiedet werden.

Es ist daher zu wünschen, dass der Bundesverfassungsgericht sich erneut als Hüter nicht nur der Bürgerrechte, sondern auch der Demokratie, zu der eine funktionierende Pressefreiheit gehört, erweist. Die Bundesregierung gibt vor, den Staat schützen zu wollen. Dies geht nicht, wenn er die eigenen Werte verrät.


Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Kultur und Medien