evangelisch.de: Nach dem Weggang von Katharina Borchert, die zu Spiegel Online wechselt, soll nun WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz das Ruder bei "Der Westen" übernehmen. Hat Print nun über Online gesiegt?
Horst Röper: So kann man das nicht sagen. Hierarchisch unterstand Frau Borchert de facto ohnehin schon immer Herrn Reitz und es ist in Zeitungsverlagen völlig üblich, dass der in der Regel kleine Onlinebereich ein Anhängsel des großen Printbereichs ist. Insofern herrschen bei der WAZ künftig Normalzustände. Interessant ist aber ein anderer Punkt. "Der Westen" ist der gemeinsame Auftritt von WAZ, Westfälischer Rundschau, Neuer Rhein/Ruhr Zeitung und Westfalenpost. Wenn nun WAZ-Chefredakteur Reitz das Sagen bei "Der Westen" hat, ist das letztlich eine Entmachtung der Chefredakteure der anderen Titel. Bislang haben die sich gegen einen größeren Einfluss von Herrn Reitz gewehrt.
evangelisch.de: Herrn Reitz wird in Internetblogs nachgesagt, er habe wenig Verständnis für neue Medien und Onlinejournalismus. Verfolgt die WAZ aus Ihrer Sicht die richtige Strategie mit dieser Personalie?
Röper: Gerade Ulrich Reitz hat immer betont, dass er sich thematische Anregungen aus dem Internet holt. Er recherchiert ausgiebig online, schaut, was es dort an Themen und Themenkarrieren gibt und nimmt sie mit in seine Redaktionen. Insofern scheint er mir nicht onlinefremd, das Internet ist für ihn ganz im Gegenteil etwas Wesentliches.
evangelisch.de: Der WAZ-Konzern hat zuletzt erheblich sparen müssen und Stellen abgebaut, auch im Redaktionsbereich. Nun sollen sich Unternehmensberater erneut bei "Der Westen" umgeschaut haben. Droht eine neue Entlassungwelle?
Röper: Der Angebot ist nach allem, was man hört, hoch defizitär. Und nun wird wieder nach neuen Einsparmöglichkeiten gesucht werden, auch beim Personal.
evangelisch.de: Der Westen gehört qualitativ zu den besseren Internetangeboten. Was hat der WAZ-Konzern aus Ihrer Sicht falsch gemacht?
Röper: Der Verlag hat sich strategisch nicht gut aufgestellt. Man hat den Versuch unternommen mit "Der Westen" eine neue Marke zu etablierten, anstatt auf die gewohnten und gelernten Marken der bestehenden Regionalzeitungen zu setzen. Dieses Markenstrategie ist nicht aufgegangen. Ich denke, es gab hier und da auch Kompetenzgerangel unter den vier Chefredakteuren der Printtitel.
evangelisch.de: Wenn schon ein Angebot wie "Der Westen" keine Gewinne erwirtschaftet, wird dann irgendein regionaler Verlag dazu in der Lage sein?
Röper: Derzeit fehlt schlicht und einfach ein Geschäftsmodell. Die Finanzierungsgrundlage ist die Werbung, die reicht aber nicht dazu aus, journalistische Angebote im Internet zu stemmen. Daher erleben wir ja nun das Bemühen von Verlagen, wieder bezahlte Inhalte zu etablieren, der Springer Verlag ist hier Vorreiter. Ob diese Bezahlmodelle funktionieren werden, wird man abwarten müssen. Das ist eine hochspannende Entwicklung die auch über die Zukunft des Online-Journalismus mitentscheidet.
Horst Röper ist Medienwissenschaftler und leitet das Dortmunder Formatt-Institut.
Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Medien und Kultur