Bundeswehr bleibt ein weiteres Jahr in Afghanistan

Bundeswehr bleibt ein weiteres Jahr in Afghanistan
Die Bundeswehr bleibt ein weiteres Jahr in Afghanistan. Das hat der Bundestag in namentlicher Abstimmung beschlossen. Die Grenze von 4500 Soldaten bleibt zunächst bestehen. Zuvor hatte Verteidigungsminister zu Guttenberg zugegeben, dass der Angriff der Bundeswehr in Kundus nicht angemessen war. Bei der Bombardierung im September hatte es 142 Tote und Verletzte gegeben.

Die deutschen Soldaten bleiben ein weiteres Jahr in Afghanistan. Mit der Mehrheit von 445 Stimmen billigte der Bundestag am Donnerstagabend eine Verlängerung des sogenannten Isaf-Mandats. 105 Abgeordnete stimmten dagegen, 43 Parlamentarier enthielten sich. Die Obergrenze von 4500 Bundeswehr-Soldaten bleibt zunächst unangetastet. Die Bundesregierung will erst Ende Januar über eine eventuelle Aufstockung des deutschen Truppenkontingents entscheiden.

Luftangriff war "nicht angemessen"

Zuvor war bereits mit großer Spannung der Auftritt von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) erwartet worden. Mit angespannter Stimme ergreift er das Wort. Immer wieder hatte er am Donnerstag im Bundestag während der aufgeheizten Debatte über die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes seine Rede überprüft, Notizen gemacht, Sätze gestrichen. Er hatte aufgemerkt, als der SPD-Außenexperte Hans-Ulrich Klose sagte: "Die entscheidende Frage ist: War die Bombardierung ein Fehler?" Um 17.25 Uhr geht Guttenberg ans Pult. Sechs Minuten später sitzt er wieder auf der Regierungsbank. Er atmet tief durch. Mit wenigen Sätzen hat er die Welt der Bundeswehr verändert.

Im voll besetzten Plenarsaal ist es bedrückend still. Der 37-jährige oberste Dienstherr der deutschen Streitkräfte hat seine Bewertung korrigiert, dass der von einem deutschen Oberst angeordnete Luftangriff am 4. September in Afghanistan militärisch angemessen war: "Aus heutiger Sicht war er militärisch nicht angemessen." Guttenberg verweist auf die erst in der vorigen Woche aufgetauchten Berichte, die die Bundeswehr selbst zu zivilen Opfern und Verstößen gegen Einsatzregeln verfasst - und ihm bei seiner Amtsübernahme nicht vorgelegt hatte.

Aber dem jungen Politiker gelingt der Spagat, den Mann zu schützen, der die Bombardierung zweier in einem Flussbett steckengebliebener Tanklaster befohlen hatte, bei der bis zu 142 Menschen starben oder verletzt wurden - darunter viele Zivilisten. Auch aus der Opposition wird Guttenberg dafür Respekt erwiesen.

Guttenberg zeigt Verständnis für Oberst Klein

Der Minister mahnt, jeder solle prüfen, wie er selbst in der Lage von Oberst Georg Klein gehandelt hätte. Unter dem Eindruck der Trauer um eigene gefallene Kameraden, der zunehmenden Gefechte in der Region, der kriegsähnlichen Zustände in der Region Kundus und der Sorge um den Schutz der deutschen Soldaten. Klein sei subjektiv von der militärischen Angemessenheit seines Handelns ausgegangen. "Ich habe volles Verständnis dafür", sagt der Minister und stellt klar, dass er Klein "nicht fallen lassen" werde.

Mehrere hundert Abgeordnete applaudieren, darunter Franz Josef Jung. Der CDU-Abgeordnete hat sich einen Platz in der sechste Reihe gesucht, fernab von der Regierungsbank. Seine Wangen sind leicht gerötet. Erst vor einer Woche war Jung als Arbeitsminister zurückgetreten, um Verantwortung für sein vorheriges Amt zu übernehmen - für die Affäre um den Luftangriff und die Verheimlichung ziviler Opfer. Der ehemalige Verteidigungsminister zeigt Flagge. Der Platz von SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, im September noch als Außenminister zuständig für die Auslandseinsätze, bleibt hingegen lange leer. Erst als Guttenberg auftritt, kommt auch Steinmeier.

Auch der neue Außenminister Guido Westerwelle (FDP) ergreift gegen die Gepflogenheiten in dieser Debatte das Wort. Zu wichtig ist die Beteiligung der Bundeswehr an der internationalen Afghanistan-Schutztruppe ISAF mit 4500 Soldaten. Zu einschneidend war die Rede von US-Präsident Barack Obama zu seiner neuen Afghanistan-Strategie mit zehntausenden zusätzlichen Soldaten.

Schwarz-Gelb will Plan für Abzug erarbeiten

"Niemand in diesem Hause möchte diesen Einsatz für die Ewigkeit", sagt Westerwelle. Er weiß um die Ablehnung der Militärmission in großen Teilen der deutschen Bevölkerung. Er versichert, die schwarz-gelbe Bundesregierung werde in dieser Legislaturperiode einen Plan für den Abzug der Truppen erarbeiten. Er verspricht mehr zivile Kräfte und mehr Polizisten.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin klagt: "Das hören wir seit drei Jahren." Statt Ankündigungen hätte der Außenminister 500 zusätzliche Soldaten und Millionen Euro für Entwicklungshilfe zusagen sollen. Die Kosten für die Bundeswehr in Afghanistan belaufen sich im nächsten Jahr auf rund 820 Millionen Euro. Die Ausgaben für den zivilen Wiederaufbau betragen voraussichtlich etwa ein Viertel davon.

Linksfraktionsvize Jan van Aken hält dem Bundestag Zahlen der Vereinten Nationen vor, wonach in den vergangenen zweieinhalb Jahren in Afghanistan 4.600 Zivilisten getötet worden seien. Ein Drittel davon sei durch afghanische oder westliche Truppe ums Leben gekommen. Die Linke lehnt den Einsatz wie immer ab. Van Aken sagt an die Adresse der Befürworter: "Ihre Entscheidung heute wird Menschenleben kosten." Aus dem Regierungslager hallt es zurück: "Ihre auch." Trittin sagt, das Problem bei dieser Entscheidung sei, dass es keine Lösung gebe, bei der niemand in Gefahr gerate.

dpa