Erinnerungen an Gräfin Dönhoff lebendig

Erinnerungen an Gräfin Dönhoff lebendig
Die große Dame der deutschen Publizistik, Marion Gräfin Dönhoff, gestorben am 11. März 2002, wäre am Mittwoch 100 Jahre alt geworden. Die Wochenzeitung "Die Zeit" bei der Dönhoff als Chefredakteurin und Herausgeberin fungierte, lud zu Veranstaltungen ein, Verlage gaben weitere Werke heraus, und in der ARD ist am 2. Dezember (23.30 Uhr) eine eindrucksvolle Dokumentation über ihr Leben und Wirken zu sehen.
02.12.2009
Von Almut Kipp

Die Leben der Gräfin Dönhoff

Das "erste Leben": Marion Gräfin Dönhoff, geboren 1909 auf Schloss Friedrichstein in Ostpreußen, stammt aus einem der ältesten Adelsgeschlechter des Landes. Bevor sie von 1939 bis 1945 die Verwaltung des Familiengutes übernimmt, bereist sie Europa, Afrika und die USA. "Ich bin gegen Demagogie, Dogmatik und Ideologie." Der Kampf für die Freiheit - ihr höchstes Gut - treibt sie in den Widerstand gegen die Nazi-Diktatur. Sie unterstützte die Attentäter auf Adolf Hitler, deren Anschlag am 20. Juli 1944 scheiterte.

"Alles Rebellische hat ihr imponiert, dann ist sie überhaupt erst wachgeworden"sagt ihre Biografin, die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer, in der vom NDR produzierten TV-Dokumentation. "Ich bin in der Aufsässigkeit aufgewachsen"sagt Dönhoff über sich selbst. Monarchie, Adel und Etikette hielt sie für "unnütz". Im Januar 1945 flüchtete die Gräfin wie Millionen andere vor der russischen Armee nach Westen - 1200 Kilometer strapaziöse Wegstrecke auf dem Rücken ihres Pferdes "Alarich". Verbitterung über die Vergangenheit ist ihr fremd, zum Verlust der familiären Güter und Heimat sagt sie später weise: "Vielleicht ist das der höchste Grad der Liebe: zu lieben, ohne zu besitzen."

Das "zweite Leben": Die promovierte Volkswirtin kommt nach der Vertreibung schließlich in Hamburg und 1946 bei der "Zeit" an. Von der politischen Redakteurin steigt sie zur Chefredakteurin und Herausgeberin auf, erarbeitet sich einen Namen als politisch- moralische Instanz der Bundesrepublik, der für Toleranz und Versöhnung steht. "Die Gräfin", wie sie noch heute liebe- und respektvoll im Hamburger Pressehaus genannt wird, prägt mit ihrer liberalen Haltung das Profil des Blattes.

Nur einmal blieb Dönhoff sprachlos

Dönhoffs Werdegang zeichnet der Autor und Regisseur Ingo Helm in dem 45-minütigen ARD-Porträt "Die Gräfin aus Ostpreußen - Das Leben der Marion Dönhoff" von der Kindheit bis ins hohe Alter nach. Szenische Schlüsselszenen reichert Helm mit Schilderungen von Weggefährten wie "Zeit"-Herausgeber und Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt, SPD-Politiker Egon Bahr, Publizist Klaus Harpprecht sowie früheren Mitarbeitern an. Der Zuschauer erfährt auch, dass Dönhoff einen Bruder hatte, der im Nazi-Regime eine leitende Funktion ausübte. Darüber hat sie beharrlich geschwiegen. "Ich nehme es ihr nicht übel. Aber es verwundert mich ein bisschen", sagt der frühere "Zeit"-Chefredakteur Theo Sommer. Warum sie sprachlos blieb, dem Bruder nicht öffentlich die Leviten las, ist ungeklärt.

Ihren Erinnerungen und ihrer Heimat Ostpreußen widmete die Publizistin mehrere Bücher, unter anderem "Preußen. Maß und Maßlosigkeit" (1987), vom Siedler-Verlag aktuell neu aufgelegt. Für den Verlag Hoffmann und Campe haben der Autor Friedrich Dönhoff, ein Großneffe, und Marion Dönhoffs persönliche Sekretärin Irene Brauer Briefe und Aufzeichnungen der Großtante und Chefin aus deren Nachlass zusammengestellt ("Marion Gräfin Dönhoff - Ein Leben in Briefen").

"Zeit" enthüllt Gedenktafel

Die "Zeit" und die "Zeit"-Stiftung luden am Sonntag (29.11.) zum siebten Mal ins Schauspielhaus ein, zur Vergabe des "Marion Dönhoff Preises für internationale Verständigung und Versöhnung". Der Hauptpreis ging an den Historiker Fritz Stern. In Erinnerung an seine langjährige Freundschaft mit der "Zeit"- Herausgeberin kritisierte er die jüngsten Auswüchse des Kapitalismus: "Dönhoff hätte sich die Erbärmlichkeit der jetzigen grenzenlosen Gier nicht vorstellen können", sagte Stern. Ihr sei protziger Reichtum und jeglicher seichter Materialismus seit ihren Jugendjahren im ostpreußischen Friedrichstein zuwider gewesen. Sie habe sich stets dem Gemeinwohl verpflichtet gefühlt, berichtete der Weggefährte.

Zahlreich waren die Auszeichnungen, die Dönhoff selbst erhielt, darunter der Theodor-Heuss-Preis und der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Zu ihrem Gedenken vertreibt die Post derzeit eine Sondermarke in einer Auflage von 1,5 Millionen Stück. Auch eine 10- Euro-Silbergedenkmünze ist zu haben mit der Randschrift: "Lieben ohne zu besitzen". Und an Dönhoffs Geburtstag wird am "Zeit"-Pressehaus in Hamburg eine Gedenktafel enthüllt.

Buchempfehlung: Irene Brauer und Friedrich Dönhoff, Hrsg.: Marion Gräfin Dönhoff - Ein Leben in Briefen, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, 303 Seiten, Euro 20,00.