Die derzeitige Hochkonjunktur des Vampirismus fußt in erster Linie auf zwei Personen. Zum einen auf Stephenie Meyer, Autorin mit mormonischem Background, die mit der "Twilight"-Saga den blutsaugenden Gegenentwurf zu den "Harry Potter"-Romanen kreiert hat, kaum weniger erfolgreich und für ein ebenso jugendliches Publikum konzipiert. Zum anderen auf Robert Pattinson, dem androgyn-aristokratischen Hauptdarsteller des Jungvampirs Edward in den "Twilight"-Filmadaptionen, dessen Bewunderung in den Fankreisen der zwölf- bis mindestens 32-jährigen Mädchen und Frauen den Status der meisten Boybands mühelos in den Schatten stellt.
Die On/Off-Beziehung mit Filmpartnerin Kristen Stewart entzückt darüber hinaus die Boulevardpresse und mit Taylor Lautner hält die Filmreihe einen weiteren Herzensbrecher im Windschatten Pattinsons parat. Die Präsenz der "Twilight"-Saga ist allumfassend und beinahe erdrückend: in allen Buchläden, auf sämtlichen Kinoleinwänden, in der gesamten Medienlandschaft dominieren die Vampire das Geschehen, auch wenn der Topos des Blutsaugens hierbei fast verschämt in den Hintergrund rückt, so enthaltsam und jungfräulich gibt sich die Story um Bella Swan und Edward Cullen, die füreinander bestimmt sind, aber nicht zueinander finden dürfen – das uneheliche Kind von Bram Stoker und Rosamunde Pilcher, es hört auf den Namen "Twilight", "New Moon", "Eclipse" und "Breaking Dawn".
Nosferatu
Dabei fing die Filmgeschichte der untoten Beißer ungleich grimmiger und erschreckender an. Friedrich Wilhelm Murnaus "Nosferatu - Symphonie des Grauen" aus dem Jahr 1922 kann zwar nicht für sich reklamieren, als erster Vampirfilm das Licht der Welt erblickt zu haben, der erste Meilenstein des Genres war er jedoch zweifellos, eine stilbildende Inspiration für zahlreiche nachfolgende Filme ohnehin. "Shadow Of The Vampire" (2000) mit John Malkovich und Willem Dafoe schließlich erhob selbst die Dreharbeiten zu "Nosferatu" zu einem Mythos, indem er behauptete, der damalige Hauptdarsteller Max Schreck sei selbst ein Vampir gewesen. Wie viele andere Filme des Genres bezieht sich auch Murnaus Stummfilm auf Bram Stokers klassischen Roman "Dracula“, der erstmals offiziell von Tod Browning, dem Regisseur des legendären "Freaks" mit Bela Lugosi in der Titelrolle inszeniert wurde. Die Adaption von 1931 fügte sich perfekt in das Oeuvre der Universal Studios in jener Dekade, die mit "Frankenstein" und dem "Wolfman" die seinerzeit erste Adresse für Horrorfilme waren. 2004 wurden alle diese Monster für "Van Helsing" in einen Topf geworfen und an ein lauwarmes Effektspektakel verraten.
Die aristokratische Eleganz des Grafen Dracula erlangte die Figur erst wieder mit den Verfilmungen der britischen Hammer Studios ab 1958, in denen zumeist Christopher Lee den blutsaugenden Adligen verkörperte. Der große Erfolg der farbintensiven Neuinterpretation zog einige Fortsetzungen nach sich, die mit der Zeit immer mehr ins Absurde glitten – Titel wie "Dracula jagt Minimädchen" (1972) lohnen heutzutage allenfalls durch ihren nicht zu unterschätzenden Trashfaktor. Bereits einige Jahre zuvor hatte Roman Polanski mit seiner geistreichen Parodie "Tanz der Vampire" (1966) das gesamte Genre lustvoll auf den Arm genommen, ohne es der Lächerlichkeit preiszugeben. Ungleich ernsthafter näherte sich Werner Herzog seinem Remake von "Nosferatu" (1979) und hatte mit seinem Lieblingsfeind Klaus Kinski einen kongenialen Hauptdarsteller im Schlepptau, aber dem Film war anzumerken, dass Murnau eigentlich bereits alles erzählt hatte.
Teeniefilmwelle
Im Zuge der Teeniefilmwelle Mitte der Achtziger, die der große John Hughes maßgeblich mitgestaltete (T"The Breakfast Club", "Ferris macht blau"), unterzog sein Regiekollege Joel Schumacher ("St. Elmo's Fire") auch dem Vampirfilm einer dringend benötigten Bluttransfusion. Mit den angesagten Bratpackern Kiefer Sutherland, Corey Haim, Corey Feldman und Jami Gertz in den Hauptrollen schuf er mit "The Lost Boys" (1987) einen (zumindest seinerzeit) hippen Horrorreißer für die MTV-Generation, dessen Ruf 21 Jahre später mit einer unterirdischen Fortsetzung allerdings leicht angeknackst wurde. In den Neunzigern war Opulenz schließlich das entscheidende Merkmal für die bedeutendsten Vertreter des Vampirgenres. Francis Ford Coppolas weitgehend werkgetreue Verfilmung von "Bram Stokers's Dracula" war die lang ersehnte ganz große Oper, die unterstützt von der furiosen Kameraarbeit von Michael Ballhaus, der pompösen Filmmusik Wojciech Kilars und den extravaganten Kostümen Eiko Ishiokas, einen unvergleichlichen Rausch der Sinne auf die Leinwand projizierte.
Der Vampircharakter wurde auch endlich wieder zu dem intendierten animalischen Verführer, wie ihn zuvor allenfalls Christopher Lee interpretierte. Auch Neil Jordans Adaption von Anne Rice‘ "Interview mit einem Vampir" (1994) schwelgte in barocken Szenerien und melancholischer Schwermut, während schließlich Joss Whedons TV-Serien "Buffy" (ab 1997) und "Angel" (ab 1999) den Mythos des Blutsaugers in mehr als 100 Episoden fest in der Jugendkultur verankerte. Voller Ironie spielte insbesondere "Buffy" mit den Regeln und Gesetzmäßigkeiten des Genres und wurde schnell zu einer Ikone der intelligenten Fernsehunterhaltung und machte selbst vor einer Musicalepisode ("Once more, with feeling“) nicht halt.
In der Folgezeit wurden die Motive des Vampirfilms nur geringfügig variiert, bevor mit dem schwedischen Meisterstück "So finster die Nacht" (2008) frischer Wind in ein scheinbar zu Tode erzähltes Genre geblasen wurde, das nun, mit der "Twilight"-Saga us seiner Nische ins grelle Licht des Mainstream gezerrt wird – wollen wir hoffen, dass es dort nicht, seinen Protagonisten gleich, bei lebendigem Leib verbrennt.
Carsten Happe ist Filmfan und Filmkenner. Bei evangelisch.de schreibt er gemeinsam mit Florian Gottschick auch das Filmblog "Alles auf Anfang".