Realitätsferner Säkularismus in Berliner Schulen

Realitätsferner Säkularismus in Berliner Schulen
Der Berliner Senat geht in Berufung, weil vor Gericht bestätigt wurde, dass ein muslimischer Schüler in der Schule beten darf. Die Einrichtungen von Gelegenheiten und Räumen zum Gebet beeinträchtige die weltanschauliche Neutralität des Staates, meint die Berliner Schulverwaltung. Chrismon-Autor Burkard Weitz ist dieser Frage nachgegangen.
21.11.2009
Von Burkhard Weitz

"Die Diesterweg-Schule ist in weltanschaulicher und religiöser Hinsicht dem Neutralitätsgebot des Staates verpflichtet", steht unter Punkt 16 der Schulordnung: "Die Ausübung religiöser Riten erfolgt im Rahmen des Religionsunterrichtes." Insofern war es nicht verwunderlich, dass Schulleiterin Brigitte Burchardt einigen muslimischen Schülern schon vor zwei Jahren verboten hatte, außerhalb der Unterrichtszeit im Schulflur ihr Gebet zu verrichten. Über 700 Schüler aus etwa 25 verschiedenen Ländern besuchen das Diesterweg-Gymnasium in Berlin-Wedding. Circa 70 Prozent stammen aus Elternhäusern, in denen nicht Deutsch gesprochen wird. Auch an dieser Schule müssen klare Regeln gelten. Der Berliner Senat stellt sich hinter die Schulleiterin.

Da nun aber einer der Schüler, Yunus M., gegen das Betverbot geklagt hatte, genauer: sein Vater, ein zum Islam konvertierter Deutscher, kam die Sache vor Gericht. Schon im März 2008 hatte das Berliner Verwaltungsgericht per einstweiliger Anordnung verfügt, dass Yunus beten darf, Ende September hat diese Anordnung per Urteil bestätigt. Begründung: Das Grundrecht auf Religionsfreiheit erstrecke sich auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden. Zum Beispiel durch Gebet. Und die Neutralitätspflicht verlange von der Schule nicht, gegen religiöse Betätigungen Einzelner vorzugehen. Yunus dürfe also weiterhin im ehemaligen Computerraum beten, wenn er einen Lehrer findet, der ihm aufschließt.

Was ist "strikte weltanschauliche Neutralität"?

Doch Berlins Schulsenator Jürgen Zöllner will keine Gebetsräume an Schulen dulden. Er geht gegen das Urteil jetzt in Berufung. Er fürchtet, dass "das Urteil über den Einzelfall hinaus Bedeutung für die Schulen in Berlin hat". Wenn nun weitere Schüler ihre Gebetsräume beantragen würden, könne die strikte weltanschauliche Neutralität an den Schulen beeinträchtigt werden.

Auch andere Politiker haben sich in der Vergangenheit entsprechend geäußert. Der integrationspolitische Sprecher der Berliner CDU-Fraktion sprach von einer "Aufkündigung der Neutralität an den Schulen". Und die schulpolitische Sprecherin der SPD forderte, "jegliche religiöse Symbolik" aus der Schule herauszuhalten.
Aber liegen sie damit wirklich richtig? Neutral ist eine Schulleitung ja nicht, wenn sie private Religionsausübung unterbindet, sondern wenn in ihr unterschiedliche Positionen, christliche, islamische, nicht-religiöse und andere, friedlich nebeneinander bestehen können. Es ist schon erstaunlich, wie realitätsfern der Säkularismus ist, der sich unter Berliner Politikern breitgemacht hat.


Burkard Weitz ist Redakteur beim Magazin chrismon.