EU-Klimabeschluss enttäuscht Entwicklungsorganisationen

EU-Klimabeschluss enttäuscht Entwicklungsorganisationen
Fünf Wochen vor der Weltklimakonferenz in Kopenhagen hat sich der EU-Gipfel mühsam auf eine Linie verständigt. Entwicklungsorganisationen bemängeln, es sei nicht genug Geld eingeplant - und zudem stehe zu befürchten, dass die Finanzen aus allgemeinen Entwicklungshilfetöpfen genommen werden und somit an anderer Stelle fehlen.
30.10.2009
Von Ulrich Pontes

Europa, der grüne Kontinent? Unbestritten ist, dass viele Impulse in Sachen Umwelt- und Klimaschutz vom Alten Kontinent ausgingen. Nun aber, wo es um entscheidende Weichenstellungen für den künftigen Kampf gegen die Erderwärmung geht, bleibt die EU im Vagen und zögert besonders beim Knackpunkt aller Maßnahmen - dem Geld.

Anfang Dezember findet in Kopenhagen der Weltklimagipfel statt, mit dem Ziel, ein Nachfolgeabkommen zum Kyoto-Protokoll zu schaffen. Die Kernfrage dabei: Mit wie viel Geld unterstützt man Entwicklungsländer in ihrem Kampf gegen den Klimawandel? Dass dafür viel Geld von außen benötigt wird, ist unstrittig - auch wenn die konkreten Summen, die genannt werden, weit auseinander liegen, wird die Weltgemeinschaft dafür doch mittelfristig mindestens einen Eurobetrag im zweistelligen Milliardenbereich aufbringen müssen. Pro Jahr.

Konkrete Summen für EU-Zahlungen offen

Bei ihrem Gipfel in Brüssel haben sich 27 Staats- und Regierungschefs der EU fünf Wochen vor Kopenhagen nun immerhin auf eine gemeinsame Verhandlungslinie und einige finanzielle Eckdaten verständigt. So erkennen sie an, dass die Entwicklungsländer ab 2020 jährlich etwa 100 Milliarden Euro für Klimaschutz-Maßnahmen brauchen. 22 bis 50 Milliarden davon sollen von der internationalen Gemeinschaft kommen. Wie viel davon die EU zu übernehmen bereit ist, dazu gab es auf dem EU-Gipfel keine konkrete Festlegung.

Die Einschätzung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die nach dem Gipfel von einem "sehr, sehr guten Ergebnis" sprach, stößt bei Umwelt- und Entwicklungsorganisationen auf heftigen Widerspruch. Merkel wollte, so heißt es, dass sich die EU aus verhandlungstaktischen Gründen nicht auf Beträge festlegt, so lange andere (vor allem die USA) auch noch keine Zusage gemacht haben. Ein Fehler - oder eine Ausrede, befinden Umweltschützer. "In Wahrheit wollen sie so billig wie möglich wegkommen", kritisiert der Berliner Greenpeace Chef-Lobbyist Stefan Krug. Der EU drohe "ein großer Glaubwürdigkeitsverlust".

"Wer die Probleme verursacht hat, soll die Kosten tragen"

Momentan bleibt nur die Äußerung Angela Merkels als Anhaltspunkt, die EU werde etwa ein Drittel der weltweit benötigten Mittel bereitstellen. Das würde der Erwartung von Aprodev, einem Zusammenschluss christlicher Entwicklungsorganisationen, entsprechen. Denn die industrialisierten Länder und damit auch die EU trügen schließlich den Großteil der Verantwortung am Klimawandel, erläutert Aprodev-Klimaexpertin Marlene Grundström im Gespräch mit evangelisch.de. "Und diejenigen, die die Probleme verursacht haben, sollten auch für die Folgekosten aufkommen", so Grundström.

In der von Merkel ebenfalls angekündigten "Vorreiterrolle" in der Finanzierung der Klima-Kosten dürfte Europa nach Aprodev-Einschätzung allerdings trotzdem kläglich scheitern. Denn die Brüsseler Dachorganisation, die auch "Brot für die Welt" und den Evangelischen Entwicklungsdienst vertritt, sieht einen entscheidenden Fehler in der Rechnung: die zugrunde gelegte Summe.

"110 Milliarden Euro nötig statt 22 bis 50 Milliarden"

"Die EU spricht von 22 bis 50 Milliarden Euro jährlichem Finanzierungsbedarf durch die internationale Gemeinschaft - wir gehen aber wie andere zivilgesellschaftliche Organisationen von 110 Milliarden Euro aus", erklärt Grundström. Unterm Strich bleibt eine gewaltige Differenz zwischen EU-Finanzen von vielleicht 15 Milliarden Euro pro Jahr, einer Summe, die in Brüssel im Gespräch war, und dem von den Entwicklungsorganisationen als angemessen betrachteten EU-Beitrag von 35 Milliarden Euro jährlich.

Zudem haben die Entwicklungsspezialisten noch einen weiteren Haken im EU-Beschluss ausgemacht: Nirgendwo sei festgeschrieben, dass es sich bei den angepeilten Zahlungen für Klima-Maßnahmen um neue Mittel außerhalb bestehender Entwicklungshilfetöpfe handele. Man fürchtet deshalb, dass Gelder für den Schutz vor dem Klimawandel und seinen Folgen abgezweigt werden könnten, die etwa für Gesundheits- oder Bildungsprojekte gedacht waren. "Unehrlich" sei eine solche Umdeklarierung, hat Aprodev-Generalsekretär Rob van Drimmelen erklärt und eindringlich davor gewarnt: "Damit werden sowohl Klima- wie auch Entwicklungsziele aufs Spiel gesetzt."

"Geizig und kleinkariert"

Zwist gab es bei dem EU-Gipfel schließlich auch über die Aufteilung der Klimaschutzkosten innerhalb der EU. Neun osteuropäische Staaten, allen voran Polen, pochten auf eine nicht zu hohe Belastung. Die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der EU-Länder müsse berücksichtigt werden, hieß es dazu nun in Brüssel. Wie auch immer Polens Beitrag zum Klimaabkommen am Ende aussehen werde, allein die EU-Solidarzahlungen nach Warschau seien gut 100 Mal größer, bemerkt dazu Finnlands Regierungschef Matti Vanhanen. Und die Grünen Europaabgeordnete Rebecca Harms schimpft, die gesamte Diskussion in der EU sei "geizig und kleinkariert".

Umweltschützer haben vorgerechnet, dass bei 15 Milliarden Euro EU-Geldern und dem angepeilten deutschen Anteil von 20 Prozent der deutsche Beitrag sich auf 3 Milliarden beliefe und stellen dem die Kosten der Finanzkrise gegenüber. So werde Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate (HRE) nur dank staatlicher Garantien von 87 Milliarden Euro am Leben gehalten.

Auch UNO-Chef Ban skeptisch

Egal ob kleinkariert oder realistisch - mit Blick auf den Weltklimagipfel in Kopenhagen bleiben viele Fragezeichen. Kommende Woche findet noch eine Vorab-Konferenz in Barcelona statt, aber dass in Kopenhagen wie ursprünglich geplant ein rechtsverbindliches Nachfolgeabkommen für das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll verabschiedet wird, scheint inzwischen wenig wahrscheinlich.

Selbst UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon glaubt offenbar nicht mehr an rechtsverbindliche Vereinbarungen in Kopenhagen. Lediglich politisch bindende Beschlüsse seien erreichbar, hieß es nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Freitag) aus Bans Umfeld. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) räumte der FAZ zufolge ein, der "Vorbereitungsstand" des Klimaschutzabkommens sei noch nicht gut - vor allem konkrete Zusagen aus den USA und China fehlten.
 

mit Material von dpa und epd