Ruhrgebiet rüstet sich für Kulturhauptstadt

Ruhrgebiet rüstet sich für Kulturhauptstadt
Als "Geschenk des Himmels" erscheint dem Ruhrgebiet die Ernennung zur Kulturhaupstadt 2010. Die letzten Vorbereitungen laufen auf Hochtouren.
26.10.2009
Von Maike Freund

Die Kandidatin weiß es nicht. Obwohl sie aus Gelsenkirchen kommt, also mitten aus dem Ruhrgebiet. "Wer ist eine der Kulturhauptstädte Europas im nächsten Jahr?" ist die 16.000-Euro-Frage bei "Wer wird Millionär?". Das Publikum weiß es besser. 91 Prozent tippen auf Ruhr2010 – und liegen damit richtig.

Das Ergebnis beruhigt Marc Oliver Hänig. Denn es bedeutet: Die Bekanntheit der Kulturhauptstadt und somit auch des Ruhrgebiets steigt. Und das ist sein Job. Er ist Pressesprecher von Ruhr 2010, der Gesellschaft, die sich um das Projekt Kulturhauptstadt kümmert. Ununterbrochen koordiniert er Termine, spricht mit Vertretern der Presse, präsentiert die Projekte – und das, obwohl es offiziell noch gar nicht losgegangen ist. 69,5 Millionen Euro stehen insgesamt zur Verfügung, um das Großprojekt Kulturhauptstadt zu stemmen. Das meiste Geld fliest in die Umsetzung der 300 Projekte. Für Werbung bleibt wenig übrig. Da kommt so eine Frage wie beim Fernseh-Quiz wie gerufen.

"Wie gerufen" kommt für Hänig auch der Titel Kulturhauptstadt, NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) nennt die Ernennung des Ruhrgebiets sogar "ein Geschenk des Himmels". Denn das Ruhrgebiet hat ein Image-Problem. Mit fünf Millionen Einwohnern auf einer Fläche von rund 4.400 Quadratkilometern zählt die Region zwischen Duisburg und Dortmund in Nordrhein-Westfalen - neben London und Paris - zu den größten Ballungsräumen Europas. Aber: Im Ruhrgebiet liegen die Arbeitslosenzahlen meist über dem Landes- und Bundesschnitt. Ende September lag die Quote bei 11,6 Prozent, in Nordrhein-Westfalen bei 8,9, im ganzen Bundesgebiet bei 8 Prozent. 30 der 52 Städte im Ruhrgebiet befinden sich im Nothaushalt. Das liegt auch an der Struktur des Ruhrgebiets. Die Kohle- und Stahlindustrie prägte im 19. und 20. Jahrhundert die Region. Noch haben die meisten Städte hier mit einem Wegfall von Arbeitsplätzen zu kämpfen. Soziale Probleme – oft die erste Assoziation mit dem Ruhrgebiet.

Aushängeschild der Region

Hier kommt nun die Kultur ins Spiel. Sie soll das neue Aushängeschild der Region werden, für ein neues Image sorgen und den Tourismus ankurbeln in dieser "schwierigen Umbruchphase". Die Kulturhauptstadt als Marketingprojekt? Ja, natürlich. Werbung in eigener Sache. Denn für Hänig gehen die Bemühungen weit über das Kulturstadt-Jahr hinaus. Es ist der der strukturelle Wandel des Reviers, der ihnen am Herzen liegt. Weil "die einzelnen Städte am Ende sind", ist das große Ziel, eine Metropole Ruhr zu schaffen. Er ist überzeugt, dass das die Kultur herbeiführen kann. Und mit dem Titel Kulturhauptstadt geht nun alles ein bisschen schneller.

Da ist zum Beispiel das Dortmunder U. Das Gebäude der ehemaligen Unions-Brauerei mit dem weithin sichtbaren U auf dem Dach, einst ein Wahrzeichen der Stadt, verfiel in den vergangenen Jahren. Nun wurde es aufwendig renoviert, könnte laut Hänig neues Postkartenmotiv für das Ruhrgebiet werden – so wie der Bundestag für Berlin, nachdem er seine Kuppel bekommen hatte. Die Bahnhöfe Dortmund, Essen und Duisburg, die erneuert werden. Oder das Folkwang-Museum in Essen. Architektonische Highlights, die auch über das Jahr hinweg bestehen bleiben und das Ruhrgebiet attraktiver machen sollen.

Eigentlich ist es gar nicht das Ruhrgebiet, das den Titel europäische Kulturhauptstadt verliehen bekam. Sondern die 570.000-Einwohner-Stadt Essen. Weil das Ruhrgebiet nicht als Gebietskörperschaft auftreten kann, durfte es sich nicht als Region bewerben. Also wurde Essen stellvertretend als Kulturhauptstadt bestimmt. Uwe Knüpfer nennt das "krückenhaft, aber einen großen Schritt in die richtige Richtung". Der Journalist ist Sprecher von "Stadtruhr". Seit rund einem Jahr engagiert sich der Verein mit den rund 1.400 Mitgliedern für einen Zusammenschluss der Städte zu einer einzigen Metropole.

"Odyssee Europa"

Dafür spricht für ihn vieles: Zum Beispiel eine einheitliche Wirtschaftsplattform und die besser Vermarktung der Region. "In Cincinnati kennt kein Mensch Herne oder Castrop-Rauxel", sagt Knüpfer, der viele Jahre in den USA gelebt hat. Deshalb brauche die Region ein einheitliches Label. Das habe Vorteile für alle Städte, wie zum Beispiel für Hoboken, die 38.000-Einwohner-Stadt bei New York, die sich nun als Standort New York vermarkten könne. Eine Möglichkeit auch für das Revier, international bekannter zu werden.

Das Projekt Kulturhauptstadt ist ein Schritt in diese Richtung. Denn Verknüpfungen gibt es hier schon viele. Die "Odyssee Europa" beispielsweise. Ein Zusammenschluss von sechs Schauspielhäusern des Reviers. Dass das Ruhrgebiet dadurch mittelfristig auf einzelne Kulturstätte verzichten könnte, sieht Hänig aber nicht so. Denn 20 Millionen Menschen, die im Einzugsgebiet des Ruhrgebiets und somit auch der Kulturhäuser liegen, können "noch mehr vertragen".

Einen Vorgeschmack auf die neue Einheit im Ruhrgebiet gibt es bei der Eröffnung. Am 8. Januar 2010 um 18 Uhr werden revierweit alle Glocken das Kultur-Jahr einläuten. Der anschließende ökumenische Gottesdienst im Essener Dom setzt den offiziellen Startpunkt. (Eine Übersicht über alle Veranstaltungen der evangelischen Kirche zum Kulturhauptstadtjahr gibt es unter www.evangelisch2010.de.)


Maike Freund ist freie Journalistin und studiert in Dortmund.