Union und FDP stehen nach einer endgültigen Reform-Einigung bei Gesundheit und der Besetzung des Finanzressorts mit Wolfgang Schäuble (CDU) offenbar kurz vor dem Ziel. "Die strittigen Punkte sind inzwischen an zwei Händen abzählbar", sagte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt am Freitag vor der erneuten Zusammenkunft der großen Koalitionsrunde. "Stündlich reduziert es sich." Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte: "Wir werden ja heute zum Abschluss kommen." Am Samstagvormittag wollen die drei Parteivorsitzenden den Koalitionsvertrag vorstellen. Bei der Opposition, der GKV und den Sozialverbänden stießen die Pläne zum Umbau des Gesundheitssystems auf massive Kritik.
Nach Medienberichten wird der bisherige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) das schwierige Finanzressort übernehmen. Damit gelang Merkel eine erste Überraschung. Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wird nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur Verteidigungsminister, Sabine Leutheusser-Scharrenberger Justizministerin, FDP-Chef Westerwelle Außen- und sein Parteikollege Rainer Brüderle vermutlich Wirtschaftsminister.
"Neue Ordnung" für Gesundheitssystem
Teil der Einigung ist eine grundlegende Reform der gesetzlichen Krankenversicherung und des in diesem Jahr gestarteten Gesundheitsfonds'. Seine Abschaffung wird allerdings auf 2011 verschoben. Zunächst bleiben der Einheitsbeitrag und die gedeckelten Zusatzbeiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erhalten, teilten die Unterhändler Ursula von der Leyen (CDU), Barbara Stamm (CSU) und Philipp Rösler (FDP) am Freitag in Berlin mit. Ab 2011 müssen die Versicherten mit steigenden Beiträgen rechnen. Die Arbeitgeberbeiträge sollen hingegen beim momentanen Wert von sieben Prozent des Einkommens eingefroren werden. Dies soll Lohnzusatzkosten möglichst gering halten und so nach Vorstellung der Koalitionäre Arbeitsplätze sichern.
Die künftige Koalition will eine Regierungskommission einrichten, die das derzeitige Gesundheitssystem in eine "neue Ordnung" überführen soll, sagte Rösler. Mehr Beitragsautonomie und regionale Differenzierung für die Krankenkassen sollen das Ziel sein. "Wir schaffen damit ein robustes Gesundheitssystem, das nicht mehr alle zwei bis drei Jahre reformiert werden muss", erklärte der FDP-Politiker. Momentan werde der Gesundheitsfonds noch gebraucht, sagte Bundesfamilienministerin von der Leyen, die als künftige Gesundheitsministerin gehandelt wird.
Kopfpauschale mit Solidarausgleich ab 2011
Voraussichtlich ab 2011 sollen die GKV-Beiträge dann einkommensunabhängig erhoben werden. Geringverdiener sollen einen sozialen Ausgleich erhalten, der über Steuereinnahmen finanziert werden soll. Zahlen nannten die Unterhändler nicht. Das System werde damit gerechter, weil der Solidarausgleich von allen Einkommen und nicht wie bisher nur von den kleinen und mittleren Einkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze getragen werde, sagte von der Leyen.
Im kommenden Jahr drohen vielen der 50 Millionen Kassenmitglieder allerdings Zusatzbeiträge zum einheitlichen Beitragssatz von derzeit 14,9 Prozent des Einkommens. Bei den Krankenkassen wird 2010 ein Defizit von 7,5 Milliarden Euro aufgrund der Krise erwartet. Rund drei Milliarden Euro müssen die Versicherten den Plänen der Koalitionäre zufolge selbst aufbringen. Der Zusatzbeitrag bleibe aber auf maximal ein Prozent des Einkommens beschränkt, sagte CSU-Politikerin Barbara Stamm.
Das Thema Gesundheit galt während der 18-tägigen Verhandlungen als ein Haupthindernis für den Koalitionsvertrag, der bis zum Samstag stehen soll. Die Verhandlungsführer für Gesundheit - von der Leyen und Philipp Rösler (FDP) - sowie die verteidigten am Freitag die Pläne der Koalition. Von der Leyen sprach von einem "ausgesprochen guten Ergebnis".
"Zumutung für Geringverdiener und Rentner"
Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, forderte die Koalition auf, den gesamten Fehlbetrag aus Steuermitteln auszugleichen. Zugleich kritisierte Mascher die geplante Kopfpauschale. Dies sei eine Zumutung für Geringverdiener und Rentner.
Die Barmer Ersatzkasse kritisierte die Pläne als mut- und ideenlos. Es sei sozialpolitisch fatal und ökonomisch falsch, die Arbeitgeberbeiträge festzuschreiben, erklärte der Vorstandsvorsitzende Johannes Vöcking. Wer die Versicherten stärker belaste, schränke das Konsumverhalten zulasten der Wirtschaft ein. Der zunehmenden Privatisierung des Gesundheitswesens werde damit weiter Vorschub geleistet.
Der Direktor des Verbandes der privaten Krankenversicherung, Volker Leienbach, begrüßte hingegen den "überfälligen Richtungswechsel in der Gesundheitspolitik". Die Bürger erhielten mehr Gestaltungsfreiheit. Es gehe weg von einem Trend zum Einheitssystem mit immer mehr Staatseinfluss.
Die Einführung eines Prämiensystems ab 2011 sei ein Systembruch mit dem Solidarsystem der gesetzlichen Krankenversicherung, kritisierte der Präsident der Volkssolidarität, Gunnar Winkler. "Gleiche Beiträge bei unterschiedlichen Einkommen sind ungerecht."