Thorsten Klug sitzt in T-Shirt, Jogginghose und Schlappen im Wintergarten seines Hauses in Heuchelheim bei Gießen. Die vergangenen Tage waren anstrengend. Von morgens bis abends fuhr der Bauer Silage ein: Futter, das seine Kühe den Winter über fressen werden.
Klug schaut auf die Wiese vor dem Fenster. Gemächlich trotten "schwarzbunte" Kühe vorbei. Der Landwirt kann alle auseinanderhalten, er erkennt sie an den Flecken und am Körperbau. Er weiß auch alle Namen, viele beginnen mit einem "H", wie "Hanni" oder "Hilde". "Ich will so lange durchhalten, wie es geht", sagt der 30-Jährige trotzig. "Wir hoffen, dass der Preis irgendwann wieder steigt."
Der Preis - das ist der Milchpreis. 21 Cent bekommt der Bauer momentan für einen Liter Milch. "Es ist der Tiefstand", seufzt Klug. Die Niedrigpreise bringen den mittelgroßen Betrieb mit 150 Milchkühen und 200 Hektar Land an den Rand des Ruins. Klug blickt wieder über die Wiese, an deren Ende der Kuhstall steht: neu gebaut im Jahr 2000, erweitert um einen Anbau im vergangenen Herbst. "Eigentlich wäre es jetzt möglich, mehr Kühe zu halten. Aber das ist zurzeit nicht machbar."
Kühe als Hochleistungssportler
Es gibt zu viele Kühe und zu viel Milch in Deutschland. Vor knapp zwei Jahren bekamen die Landwirte mehr als 40 Cent für den Liter. "Damals sagten sich viele Bauern: Jetzt kann ich mit Milch endlich wieder Geld verdienen", erklärt Bernd Weber vom Hessischen Bauernverband. Die Bauern vergrößerten ihren Betrieb. Dann sanken die Preise. Heute gibt es im Discounter einen Liter Frischmilch für 48 Cent. "Bei den jetzigen Preisen können die Betriebe nicht ohne staatliche Hilfe überleben", sagt Weber.
Eine Kuh in Klugs Stall liefert jeden Tag durchschnittlich 24 Liter Milch. Das sei "gutes Mittelfeld", meint der Landwirt. "Je höher die Literzahl, umso besser muss die Betreuung sein." Kühe seien wie Hochleistungssportler. 40 Kilo "Frischmasse", also Silage aus Gras oder Mais, frisst jede seiner Milchkühe am Tag.
Das meiste produziert Klug selbst auf seinen Feldern. Hinzu kommt Mineralfutter, das er zukaufen muss. Dann noch Stromkosten, der Tierarzt, die Besamung, die Maschinen und Traktoren, die Melkhelfer und der eine Hofangestellte. Bei 21 Cent, rechnet Klug vor, seien die laufenden Tageskosten nicht gedeckt, dafür müsste der Milchpreis bei 30 oder 35 Cent liegen. "Aber auch dann wäre noch kein Gewinn dabei."
Einfach weniger Milch produzieren - das geht nicht
Klug kann nicht einfach weniger Milch produzieren. Zwei Tage ohne Melken, dann "wäre das Euter kaputt". Es sei sinnlos, jetzt in der Krise den Bestand zu verkleinern, denn "wer kauft denn jetzt Kühe?" Außerdem laufe ein Stall nur dann wirtschaftlich, wenn er voll belegt ist. Seit zwei Jahren überlegt der Bauer, auf Bioproduktion umzustellen, weil da höhere Preise gezahlt werden. "Aber ich fürchte, dass momentan mehr Betriebe umstellen, als der Markt braucht."
Im Kinderzimmer erwacht Klugs kleiner Sohn aus dem Mittagsschlaf. Ob er einmal den Hof übernimmt? Soweit in die Zukunft plant der Milchbauer im Moment nicht. Für ihn geht es erst einmal um die nächste Woche. Ans Aufgeben denkt er trotzdem nicht. "Man hängt daran, man ist auf dem Hof aufgewachsen, hat immer gearbeitet und war jeden Tag draußen."
Klug sucht nach Auswegen aus der Krise: Einige Nachbarn holen ihre Milch direkt bei ihm ab. Vielleicht könnte er einen Milchautomaten aufstellen, an dem es immer frische Milch direkt vom Bauern gibt. "Vielleicht, wenn die Preise wieder gestiegen sind", sagt er nachdenklich.