TV-Tipp des Tages: "Tatort: Freigang" (ARD)

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TV-Tipp des Tages: "Tatort: Freigang" (ARD)
TV-Tipp des Tages: "Tatort: Freigang", 9. Juni, 20.15 Uhr im Ersten
Bei der Leiche einer Frau sind DNS-Spuren ihres Mannes gefunden worden, doch der ist im Gefängnis und hat somit das beste Alibi überhaupt. Thorsten Lannert wird "under cover" ins Gefängnis eingeschleust: nicht als Insasse, sondern als Vollzugsbeamter.

Die Geschichte ist gut, die Umsetzung fesselnd, das Finale spannend – und trotzdem hat dieser ansonsten sehenswerte "Tatort" aus Stuttgart einen gewaltigen Haken. Zunächst jedoch beginnt der Film mit der Lieblingsherausforderung für Hobbykriminalisten, dem vermeintlich perfekten Mord: Bei der Leiche einer Frau sind DNS-Spuren ihres Mannes gefunden worden, doch der ist im Gefängnis und hat somit das beste Alibi überhaupt. Weil es vor einiger Zeit einen ganz ähnlichen Fall gegeben hat, lässt sich Thorsten Lannert (Richy Müller) "under cover" ins Gefängnis schleusen: nicht als Insasse, sondern als Vollzugsbeamter, inklusive neuem Namen, neuer Wohnung, neuer Biografie; und natürlich neuem Auto.

Die Perspektive des "Schließers"

Die Idee ist grundsätzlich nicht schlecht, und weil Lannert eine gut eingeführte Figur ist, funktioniert sie besser als die "Tatort"-Filme des NDR mit Mehmet Kurtulus als verdecktem Ermittler Cenk Batu, der in immer wieder andere Rollen schlüpfte, aber bildlich gesprochen heimatlos war. Trotzdem gibt es einen ganz erheblichen Einwand: Selbst in Hamburg mit seinen 1,75 Millionen Menschen gab es ein gewisses Risiko, dass der LKA-Kommissar auffliegen könnte. In Stuttgart mit seinen gerade mal 600.000 Einwohnern ist diese Gefahr rein rechnerisch also dreimal so groß, zumal sich Lannert ja in einem berufsnahen Umfeld aufhält; selbst wenn sich in dem Gefängnis, wie ausdrücklich betont wird, niemand befindet, den er eigenhändig verhaftet hat. Natürlich ist ein "Tatort" Fiktion, aber jede erfundene Geschichte muss in sich plausibel sein, sonst funktioniert sie nicht.

Ignoriert man dieses Manko, ist "Freigang" ein guter Krimi, zumal das Duo Sönke Lars Neuwöhner (Buch) und Martin Eigler (Buch und Regie), das seit 15 Jahren immer wieder zusammenarbeitet (zuletzt unter anderem bei dem ZDF-Wirtschafts-Thriller "Ein mörderisches Geschäft") viel Erfahrung in diesem Genre hat. Außerdem ist es reizvoll, ein Gefängnis mal aus der Perspektive des "Schließers" zu sehen. Rasch findet Lannert raus, dass Sicherheits-Chef Franke (Herbert Knaup) einen Kreis von Getreuen um sich geschart hat, zu dem Beamte wie auch Insassen gehören. Als sich ein Kollege das Leben nimmt, eröffnet sich die Chance, den Kreis mit Hilfe der Witwe zu sprengen, doch für Franke gibt es nur eine Devise: schweigen oder sterben.

Für langjährige Freunde des "Tatort" aus Stuttgart ist Lannerts Aktion erst recht interessant, schließlich war der Hauptkommissar einst verdeckter Ermittler, bevor er nach Schwaben umsiedelte. Und 2012 (in "Scherbenhaufen") war es Kollege Bootz (Felix Klare), der sich zu einer "under cover"-Aktion überreden ließ, wenn auch nur in einer Porzellanmanufaktur. Damals wie heute sorgen die Begegnungen der beiden Beamten für zusätzliche Spannung, denn natürlich müssen sie heimlich erfolgen; Lannerts Legende sieht regelmäßige Bordellbesuche vor, so dass sich das Duo des öfteren im Puff trifft. Ansonsten verzichtet Eigler bei seiner konzentrierten Inszenierung auf vordergründigen Nervenkitzel; erst am Ende, als die Witwe offenbar in Lebensgefahr schwebt, wird "Freigang" zum Thriller.

Abgesehen von der interessanten Geschichte lebt der Krimi von der Gefängnisatmosphäre (gedreht wurde in der Göttinger JVA Rosdorf) sowie von den Leistungen der beiden Hauptdarsteller: Herbert Knaup ist Richy Müller ein ebenbürtiger Kontrahent. Über die diversen Komödien der letzten Jahre, allen voran natürlich die Kluftinger-Krimis, ist ein wenig in Vergessenheit geraten, welch’ wunderbare Schurkenrollen Knaup schon gespielt hat.