Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff hat scharfe Kritik an Predigten in heutigen Gottesdiensten geübt. In einer Rede zu den Zehn Geboten der Bibel sagte sie am Dienstagabend in Berlin, der Sonntag verkomme mehr und mehr zu einem reinen Urlaubs- und Kaffeefahrtentag. "Auch ich kann mich nur selten dazu entschließen, an diesem besonderen Tag einem Gottesdienst beizuwohnen, weil mir in aller Regel die Predigt derart banal vorkommt, dass ich die Kirche missmutiger verlasse, als ich in den gottgeweihten Raum eingetreten bin", sagte die 60-Jährige in der Neuen Nationalgalerie.
Lewitscharoff war im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Dekalog heute" aufgefordert worden, zum dritten Gebot "Du sollst den Feiertag heiligen" zu reden. Die Autorin warnte in ihrem Vortrag davor, die Bindung an die Gemeinde zu verlieren, wenn man nicht zum Gottesdienst in die Kirche geht. Die Gemeindebindung befreie von einer zu sehr ins Private driftenden Gottesanbetung. Ebenso könne sie "als Korrektur dienen vor der allzu krausen Selbstauslegung, die eine Religion nach eigenem Wohnzimmermaß ausstaffiert", sagte Lewitscharoff.
"Kindergottesdienst auf die Erwachsenen gekommen"
In einer Diskussion mit der Kulturbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Petra Bahr, sagte sie anschließend, sie vermisse bei Pfarrern Schärfe und dass die "Furcht vor dem Herrn" besonders in der protestantischen Kirche abhanden gekommen sei. "Es ist so etwas wie der Kindergottesdienst auf die Erwachsenen gekommen", sagte die bekennende Protestantin.
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Damit wiederholte die Autorin ihre Kritik an modernen Gottesdiensten. Bei einer Diskussion im Februar in Leipzig bezeichnete die Georg-Büchner-Preisträgerin moderne Sprache in Gottesdiensten als "neumodisches Gewaber".
Lewitscharoff stand zuletzt wegen Äußerungen über künstliche Befruchtung in der Kritik. Kinder, die auf diese Weise gezeugt wurden, bezeichnete sie in einer Rede Anfang März in Dresden als "Halbwesen" und "zweifelhafte Geschöpfe". Die Äußerungen nahm sie inzwischen zurück.
Die Veranstalter des "Dekalog" betonten vor Lewitscharoffs Rede in Berlin, dieses Thema werde keine Rolle spielen. Der Berliner evangelische Bischof Markus Dröge, der damals zu den Kritikern gehörte, sagte in seinem Grußwort, weil Lewitscharoff die "eindeutig zu drastischen Worte" zurückgenommen habe, müsse nun unterschieden werden zwischen der damaligen Rede und dem Anliegen der Autorin. Ethische Reden müssten notwendig Diskussion und Streit wecken, sagte er dennoch. Lewitscharoff betonte, "mit einer allzu absichernden Ausgewogenheit der Rede" komme man "nicht allzu weit".
Die Veranstaltung "Dekalog heute" der kirchlichen St. Matthäus- und Guardini-Stiftung findet 2014 zum zweiten Mal statt. Die Reihe zu ausgewählten Geboten soll auch der Vorbereitung auf das Reformationsjubiläum im Jahr 2017 dienen.