Wenn ein Funkspruch über die Zukunft entscheidet

Foto: dpa/Ettore Ferrari
Ein Boot mit Flüchtlingen nähert sich der süditalienischen Insel Lampedusa und wird von einem Patrouillenboot der Küstenwache in den Hafen geschleppt.
Wenn ein Funkspruch über die Zukunft entscheidet
Wohin sollen EU-Grenzschützer Bootsmigranten bringen, die sie im Meer aufspüren? Ein neues Gesetz sieht Einzelfallprüfungen vor - auf hoher See. Flüchtlingsrechtler sind skeptisch, ob das machbar ist.
23.02.2014
epd
Isabel Guzmán

Es ist ein Kompromiss, von dem im Moment niemand weiß, wie gut er funktionieren wird. Viereinhalb Monate nach der Flüchtlingstragödie vor der italienischen Insel Lampedusa gibt sich die Europäische Union ein neues Gesetz über EU-koordinierte Grenzschutzeinsätze im Mittelmeer. Sein Zweck ist, künftig mehr Menschenleben zu retten und Verfolgten den nötigen Schutz zu geben. Europa möchte allerdings auch die illegale Einwanderung und kriminelle Netzwerke konsequent bekämpfen - vier Ziele, die in der Theorie leichter zu vereinbaren sind als in der Praxis.

Am Donnerstag hat der Innenausschuss des Europaparlaments in Brüssel sein Ja zur neuen Frontex-Seegrenzen-Verordnung gegeben. Zuvor hatten Parlament und EU-Regierungen informell eine Einigung ausgehandelt, so dass die endgültige Verabschiedung Formsache sein wird. Die neue Verordnung definiert unter anderem, was genau unter einer Notsituation zu verstehen ist. Sie schafft auch mehr Klarheit, welche EU- oder nationale Behörde dann welche Rettungsmaßnahmen ergreifen muss. Es dürfte für die beteiligten Länder - gerade Mittelmeeranrainer - und Behörden künftig schwerer werden, sich der Verantwortung zu entziehen.

Persönliche Befragung der Migranten auf hoher See

Die zentrale Frage jedoch ist, ob auf See aufgespürte Bootsmigranten in einen europäischen Hafen gebracht oder zurückgeschickt werden. Das Gesetz beinhaltet die Möglichkeit, die Migranten bereits auf dem Meer in Gruppen einzuteilen. Es ist verboten, ein Boot auf hoher See unbesehen zur Umkehr zu zwingen. Vielmehr sollen die Grenzschützer die Migranten persönlich befragen: Sucht jemand tatsächlich Asyl oder eine wirtschaftliche Perspektive? Ist er von einem unsicheren Land aus in See gestochen? Braucht jemand dringend einen Arzt?

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Um diese schwierige Aufgabe zu bewältigen, sollen die Grenzbeamten auf ein Netzwerk von Helfern auf ihren Schiffen und an Land zurückgreifen. Vor Beginn eines Einsatzes sollen "Mediziner, Übersetzer, Rechtsberater und andere relevante Experten" benannt werden, die mitfahren oder per Funk erreichbar sind. Außerdem sollen die an dem Einsatz teilnehmenden EU-Regierungen sich über sichere Abreiseländer verständigen. "Ein breites Spektrum an Quellen" soll dafür konsultiert werden.

Auf diese Weise hätte zum Beispiel ein Flüchtling aus Somalia, der in Libyen in See gestochen ist, eine Chance, in der EU an Land gebracht zu werden. Denn in Libyen ist die Menschenrechtslage laut UN und anderen Fachleuten sehr problematisch. Anders aussehen könnte es etwa für einen Syrer, der über die Türkei kommt. Die Türkei hat sich kürzlich verpflichtet, ihr Asylsystem zu verbessern, auch wenn Flüchtlingsrechtler große Skepsis hegen. Gar keine Chance hätte wohl ein Tunesier, der in der EU Arbeit suchen will.

Fehlender Rechtsschutz

Kirchen und Menschenrechtler sehen die neuen Regeln mit gemischten Gefühlen. Denn natürlich ist ein solches System anfällig für Fehler. "Es gibt keine Möglichkeit, sich gegen die Maßnahmen der Grenzschützer juristisch zur Wehr zu setzen", unterstreicht etwa Katrin Hatzinger vom Brüsseler Büro der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Hatzinger kritisiert auch, dass die Beamten zwar nicht auf hoher See, wohl aber in EU-Gewässern Boote zurückdrängen dürfen. Es sei jedoch ein Fortschritt, dass die Grenzschützer "mit allen Mitteln" Identität und persönliche Umstände ermitteln müssten. Insgesamt habe das Europaparlament den Gesetzesvorschlag der EU-Kommission deutlich verbessert, meint Hatzinger.

Die Grünen im Parlamentsausschuss bemängeln ebenfalls den fehlenden Rechtsschutz. Das neue Gesetz gilt indessen nur für Einsätze unter der Flagge der EU-Grenzschutzagentur Frontex, nicht für unabhängige Einsätze einzelner Küstenwachen. Frontex verweist darauf, dass man bereits heute Schutzstandards befolge und in den letzten vier Jahren rund 40.000 Menschen aus Seenot gerettet habe. Menschenrechtler bestätigen, dass an vielen tödlichen Vorfällen im Mittelmeer eher nationale Grenzbehörden als Frontex eine Mitschuld trügen. Allerdings gebe es auch in der Frontex-Praxis viel Verbesserungsbedarf, meint etwa die Organisation Pro Asyl.