Wer seines Lebens müde ist, soll würdevoll sterben dürfen. Das fordert der ehemalige MDR-Intendant Udo Reiter in eine Gastbeitrag in der „Süddeutschen Zeitung“. Das Recht auf aktive Sterbehilfe soll, schreibt er, nicht nur für todkranke Menschen gelten, sondern auch für alle, die „lebenssatt“ geworden sind. Entsetzt reagierte der frühere Bundesminister Franz Müntefering auf diesen radikalen Vorstoß – ebenfalls mit einem SZ-Gastbeitrag. Darin bezeichnet er die „Heroisierung der Selbsttötung“ als problematisch.
###mehr-artikel###Diese Debatte griff Günther Jauch in seiner sonntäglichen Talkshow auf. „Mein Tod gehört mir! Gibt es ein Recht auf Selbstbestimmtes Sterben?“ fragte er. Zunächst waren Reiter und Müntefering die einzigen Gäste, die in der Studiomitte Platz nahmen. Im Wesentlichen wiederholten beide die Argumente aus ihren Artikeln. Reiter pochte auf die freie Entscheidung eines jeden Menschen. Er wolle nicht als Pflegefall enden, dem "man mit einem Gummihandschuh die Exkremente herauskratzt". Bevor er vertrottle, wolle er deshalb selbst das Ende seines Lebens bestimmen. Franz Müntefering sieht darin eine gefährliche Botschaft für alle Kranken und Pflegebedürftigen. "Jedes Leben ist wertvoll", sagte der Politiker.
Gegen die "Abkürzung" entschieden
"Haben Sie nie daran gedacht, eine Abkürzung zu nehmen?" fragte Jauch Müntefering, der seine Frau Ankepetra bis zu ihrem Krebstod pflegte. "Wir haben uns für den schwierigen Weg entschieden", antwortete er. Die Familie habe in dieser Zeit viel geweint und gezagt – aber es habe auch schöne und Tage und Stunden mit den Kindern und seiner Frau gegeben. "Wir haben Sterben als Teil des Lebens erlebt", sagte Müntefering. Statt dem organisierten Suizid die Tore zu öffnen, wünsche er sich eine Debatte über menschenwürdiges Sterben.
###mehr-links###Auch Petra Bahr, Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche Deutschland, die inzwischen mit dem Arzt Uwe-Christian Arnold die Runde ergänzte, widersprach Reiters Vorstellung der selbstbestimmten Gesellschaft, die auch vor dem Tod kein Halt machen dürfe. In ihrer christlichen Weltanschauung sei das Leben ein Geschenk. "Wir können uns nicht auf die Welt bringen und wir haben den Tod nicht in der Hand", sagte die Theologin. Der Wunsch, das zu ändern, erschrecke sie jedoch. Man sei auf fatale Weise dabei, das ideal eines fitten Menschenkörpers zu schaffen, der keinen Platz für Krankheit bereit halte.
Möglichkeiten der Palliativmedizin
Die Angst vor dem Sterben, sagte Bahr, sei auch deshalb so groß, weil Menschen nicht wissen, was das heißt. 90 Prozent der Deutschen hatten in einer Umfrage angegeben, keinen Kontakt zu sterbenden Menschen gehabt zu haben. Auch hatte die Studie gezeigt, dass zehn Prozent der Bevölkerung uneingeschränkt für die Sterbehilfe durch Ärzte sind, fast 70 Prozent wollen die Suizidhilfe zumindest für unheilbar Erkrankte mit eng begrenzter Lebenserwartung. 18 Prozent sprachen sich komplett gegen die aktive Sterbehilfe aus. Ist also die Mehrheit der Bevölkerung für eine Lockerung der bisherigen Regelung? Bahr und Müntefering zeigten sich skeptisch. So wüssten die meisten Menschen viel zu wenig über die Möglichkeiten der Palliativmedizin.
"Der Streit ist wohl fällig", schrieb Franz Müntefering in der "Süddeutschen Zeitung". "Soll man Sterben als Teil des Lebens begreifen und es geschehen lassen, es erleben? Oder den Tod suchen, auch wenn die biologische Uhr noch nicht abgelaufen ist?" Und ja, es scheint, als habe Müntefering Recht – es ist Zeit, diese Debatte weiter und intensiver in der breiten Gesellschaft zu führen. Dazu gehört ein sensibler Umgang mit den Ängsten aber auch Aufklärung darüber, welche Möglichkeiten Menschen schon heute geboten nutzen können.