Ver-liebt, Ver-knallt, Ver-schossen

Foto: Thinkstock/iStockphoto/Arman Zhenikeyev
Verliebte haben eine ganz spezielle Sicht auf die Person, in die sie verliebt sind. Die sprichwörtliche rosa-rote Brille kann also zu einer ver-zerrten Wahrnehmung führen.
Ver-liebt, Ver-knallt, Ver-schossen
Wenn sich jemand ver-spielt, dann läuft es nicht so wie geplant. Ich habe mich ver-tan bedeutet, dass eine Handlung nicht wie gewünscht abgelaufen ist. Die Vorsilbe "ver" bedeutet, dass dass etwas an einer Sache vorbei geht. Was hat dann das sich Ver-lieben mit dem Lieben zu tun? Aus einer anfänglichen Schwärmerei kann sich schließlich eine andauernde, liebevolle Partnerschaft entwickeln. Ein Beitrag zum Valentinstag am 14. Februar.

Verliebtsein ist ein Ausnahmezustand. Herzrasen, zittrige Hände, seltsame Wortbeiträge und intensives Kopfkino – um nur einige Stichwörter zu nennen. Die Welt erscheint rosa oder manchen auch wie eine Folterkammer, wenn der oder die Auserwählte die eigenen Gefühle nicht erwidert. Der Wunsch nach langwährendem Zusammensein ist häufig stark – die "Liebe" für den anderen Menschen fühlt sich so groß an.

Doch ist das Liebe? "Ver-schossen", laut Duden ein umgangssprachliches Wort für heftiges Verliebtsein, deutet schließlich eher an, dass etwas am Ziel vorbei geht. Und das umgangssprachliche "Ver-knallen" klingt auch eher nach einem impulsiven Gefühlsfeuerwerk, welches mangelndes Urteilsvermögen mit sich bringt.

"Ein Merkmal des Verliebens ist sicherlich, dass keine realistische Sicht auf den anderen möglich ist", sagt Oskar Holzberg, Psychotherapeut mit eigener Praxis in Hamburg. Es sei natürlich ein höchst subjektives Empfinden. Doch werden Menschen gefragt, geben sie verschiedenen psychologischen Studien zufolge an, dass der intensiv erlebte Verliebtheitszustand ungefähr sieben Monate bis zu zwei Jahre andauern kann.

Wie im Kokainrausch

Die verliebte Person ist also nicht ganz sie selbst. Auf der körperlichen Ebene werden eine Menge Hormone ausgeschüttet. Diese versetzen den Körper in einen Zustand, der mit der Wirkung eines Kokainrausches vergleichbar ist, haben Wissenschaftler aus Universitäten in Syracuse (West Virginia) und Genf heraus gefunden. Sie haben Ergebnisse mehrerer Studien der Hirnforschung zu dem Thema zusammengetragen und ausgewertet.

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Diese Überblicksstudie zeigte auch, dass Paare, die sich gerade verliebt haben, einen ausgesprochen hohen Nervenwachstumsfaktor (NWF) aufweisen. Dieses NWF-Protein unterstützt die ständigen neuronalen Umbauprozesse im Gehirn. NGF signalisiert Neuronen, dass sie weiterleben sollen. Fehlt der Faktor, sterben sie ab. Gewagt interpretiert sind Verliebte also neurologisch gesehen besonders aktiv und lebendig.

Dieser Befund passt zu einer Theorie des Berliner Coachs Boris Laaser. Er schreibt in seinem Blog, dass im Laufe unserer "Ent-Wicklung"' Themen in unser Bewusstsein geraten und zur Bearbeitung anstehen. Dies seien Reifungsprozesse. "Die Person, die das Thema berührt oder 'triggert', das bei uns gerade zur Bearbeitung ansteht – in diese Person verlieben wir uns", schreibt der Coach für systemische Therapie und Beratung.

Geht es beim Ver-lieben vor allem um sich selbst?

Dies spiegle sich auch in der deutschen Sprache. Schließlich handle es sich bei den Wörtern "sich verlieben" um ein reflexives Verb mit Pronomen, also um ein rückbezügliches auf sich selbst. Im Deutschen werden Reflexivpronomen wie "sich" genutzt, um beispielsweise auszudrücken, dass derjenige, der wäscht und derjenige, der gewaschen wird, ein und dieselbe Person sind. Wenn es also bei dem sich ver-lieben, eigentlich vor allem um die eigene Person geht und weniger um den anderen, was hat das dann mit Liebe zu tun?

Einer Befragung der Universität Oldenburg zufolge weisen die beiden Gefühle "Liebe" und "Verliebtsein" zumindest bestimmte Gemeinsamkeiten auf: Beide seien durch unverzichtbare Merkmale wie "starke Zuneigung zum Partner", "Freude über das Zusammensein mit ihm" und "Zärtlichkeit" charakterisiert, gaben die Studienteilnehmer an.

Verliebtsein und Liebe seien zwei große aufeinanderfolgende Phasen einer Beziehung, so Studienleiter Ulrich Mees. Der große Unterschied liege darin, dass Verliebte "eine starke körperliche Sehnsucht" nach der geliebten Person empfinden. Die spätere Liebe wird so nicht mehr beschrieben, ergab die Studie.

Verliebte sind nicht "offen und ehrlich"

Zudem sind Verliebte der Befragung zufolge nicht "offen und ehrlich" zum Partner. Sie wollen diesem gegenüber lieber die eigenen Schwächen verheimlichen. Und sie wollen keine "Verantwortung für den anderen übernehmen". Dafür kenne man sich noch zu wenig.

Sich zu verlieben und zu lieben seien subjektiv empfundene Phasen und Prozesse und nicht klar voneinander zu trennen, sagt der Paartherapeut Holzberg. Wichtig für das Entstehen von tiefer Zuneigung und Liebe seien aber sicherlich Vertrauen und Zuverlässigkeit. "Der Partner muss sich schließlich erst als würdig erweisen. Es ist ein Lernprozess. Das kann nur wachsen."

Laut der Oldenburger Studie sind weitere zentrale Bestandteile der Liebe: Wertschätzung des Partners, Trauer bei Ende der Liebe, Mitfreude, sehr gutes Verständnis, enge Verbundenheit und Akzeptanz von Schwächen.

Warum und in wen wir uns verlieben, bleibt trotz vieler verschiedener Studien und Theorien jedoch weiterhin unerklärlich. Es gibt beispielsweise auch Untersuchungen, die zeigen, dass der Geruchssinn entscheidend daran beteiligt sein soll. "Es ist ein komplexes Zusammenspiel von unbewussten, biologischen Prozessen und eigenen biografischen Faktoren. Die Vorgeschichte mit anderen Partnern kann eine Rolle spielen, situative Faktoren sind meist entscheidend und das ausgelöste Erregungspotential in einer Begegnung", weiß Holzberg. In der Regel suchen Menschen auch eher nach einem Partner mit ähnlichem soziokulturellen Hintergrund.

Übringens, die Silbe "ver" vor einem Wort bedeutet natürlich nicht immer, dass etwas nicht so läuft wie gedacht. Denn sonst könnte in einer Partnerschaft wohl keiner mehr beginnen, dem Anderen zu ver-trauen.