Sie kamen am Nachmittag: eine Gruppe von mehreren Dutzend Männern. Mit wutverzerrten Gesichtern zogen sie zur Kirche der Heiligen Jungfrau in Kairos Armenviertel Kerdassa. "Allahu Akbar! - Gott ist groß", lautete ihr Schlachtruf. Schnell flogen die ersten Steine und Molotowcocktails. Nachdem das Gebäude Feuer gefangen hatte, begannen die Männer, die Nebenräume der Kirche zu plündern. Sie nahmen Computer, Stühle und was sie sonst finden konnten.
Heute steht von der Kirche nur noch eine Ruine. "Es ist ganz unerklärlich. Die Menschen, die dies getan haben, sind Bewohner des Viertels, wir sind Nachbarn. Wer hat sie nur angestachelt?", fragt eine Frau. Sie ist ganz in schwarz gekleidet und trägt ein auffälliges Goldkreuz am Hals. Sie hat Angst und will ihren Namen nicht nennen.
Eine der ältesten Kirchen weltweit
Bis zu dem Angriff in der vergangenen Woche hat sie in der Kirche der Heiligen Jungfrau gebetet. Nun steht sie vor den Trümmern. Das Gotteshaus ist eines von mindestens 60, die in den vergangenen Tagen in Ägypten angegriffen und zerstört wurden.
###mehr-artikel###
Begonnen hat die neue Welle der Angriffe auf Christen am Nil Anfang Juni. Das Militär setzte damals den im vergangenen Jahr gewählten Präsidenten Mohammed Mursi, Kandidat der Muslimbrüder, ab. In Kairo errichteten Mursi-Anhänger mehrere Protestcamps. Parallel dazu häuften sich die Meldungen von Angriffen auf Kirchen, Klöster und andere christlichen Einrichtungen.
Rund zehn Prozent der etwa 80 Millionen Einwohner Ägyptens sind Christen. Die meisten gehören der koptisch-orthodoxen Kirche an, die bereits seit dem ersten Jahrhundert nach Christus existiert und damit zu den weltweit ältesten Kirchen gehört.
Wer steckt dahinter?
"Es hat eine Weile gedauert, bis die Öffentlichkeit aufmerksam wurde", sagt Emad al Erian, Mitbegründer der christlichen Organisation "Jugend von Maspero". Politik und Medien seien zu sehr mit den Protesten in Kairo beschäftigt gewesen. Der Hilferuf der Christen wurde erst gehört, als mit der Räumung der beiden Protestlager der Mursi-Anhänger aus der Gewaltwelle gegen Christen ein regelrechter Tsunami wurde. Am vergangenen Mittwoch, dem Tag der gewaltsamen Räumung durch Sicherheitskräfte der Militärregierung, wurden mehrere Dutzend Kirchen angegriffen.
Wer dahinter steckt, ist nicht sicher. Viele Mursi-Anhänger geben Christen die Schuld für die Absetzung ihres Präsidenten. "Das ist doch ganz klar, christliche Geschäftsleute haben die Bewegung, die zu den Demonstrationen gegen Mursi aufrief, finanziert. Überhaupt waren es in erster Linie Christen, die gegen Mursi auf die Straßen gingen", sagt Mohammed Badrawi, ein junger Mann mit langem Bart. Tatsächlich verkündete der koptische Milliardär Naguib Sawiris nach dem Sturz Mursis, dass er mit mehreren hunderttausend Euro die Mobilisierungskampagne gegen Mursi unterstützt habe. Das gab dem Hass gegen die Christen neue Nahrung.
Regierung präsentiert sich als Schutzmacht
Die Islamisten allerdings weisen jede Schuld an der Gewalt gegen die Kopten von sich. Nicht die Anhänger Mursis, sondern vom Innenministerium finanzierte Schlägerbanden würden die Anwohner dazu anstiften. "Das machen sie, weil sie uns dann die Schuld geben können und es dann klar ist, dass sie hart gegen uns vorgehen müssen", sagt Essam al Din, führendes Mitglied der islamistischen "Gamaat al Islamiyya".
Tatsächlich hat es in der Vergangenheit Angriffe auf Kirchen gegeben, bei denen sich im Nachhinein herausstellte, dass die Staatssicherheit sie in Auftrag gegeben hatte, wohl um die Terrorangst zu schüren. In der jetzigen Situation nutzt die Regierung die Angriffe, um sich selbst als Schutzmacht gegen den Terror zu präsentieren.
Wahrscheinlich gehen die meisten Angriffe auf das Konto der Islamisten, doch es bleibt ein Restzweifel. Wer wirklich für die brennenden Kirchen verantwortlich ist, wird sich wohl erst klären lassen, wenn Ägypten wieder zur Ruhe kommt - wenn überhaupt. Die Christen erleben derzeit eines der schwärzesten Kapitel ihres Gemeindelebens in Ägypten.