Diesen Artikel werden Sie wohl in Kürze noch auf einer anderen Website wiederfinden, zumindest als Link: www.die-macht-der-medien.de. Diese Seite wird von der Südtiroler Rockband Frei.Wild betrieben. Sie will damit der, Zitat: "Flut an Falschunterstellungen und Ungereimtheiten endlich konkret entgegenwirken". Gesammelt wird dort alles Mögliche, was an medialer Berichterstattung über Frei.Wild zu finden ist. Und jeder einzelne Artikel oder Bericht wird mit einem Daumen nach oben oder unten versehen. Gibt es einen Daumen nach unten, folgen häufig auch noch Kommentare im Namen der Band, nach deren Aussage mit dem Ziel, "auf die größten Falschaussagen einzugehen." Man darf also gespannt sein, in welcher Sparte dieser Text landen wird.
Warum aber das Ganze? Schließlich hat das letzte Album der Band, "Feinde deiner Feinde", Platz eins der deutschen Charts erreicht, sie spielt in ausverkauften Hallen und feiert große Erfolge. Dennoch wollen sich die Musiker von Frei.Wild damit gegen etwas wehren, das ihnen womöglich einen guten Teil ihrer Popularität verschafft hat: Ihren Status als "umstrittene Band". Und für diesen machen sie vor allem ihnen gegenüber kritisch eingestellte Medienschaffende verantwortlich. Die vier jungen Männer sehen sich von den Journalisten - und auch von einigen Musikerkollegen - in eine rechtsextreme Ecke gedrängt.
Rechtsextreme Vergangenheit
Was aber gibt dazu Anlass? Zum Einen wird in den Medien immer wieder auf die Vergangenheit von Sänger und Frontmann Philipp Burger Bezug genommen. Der machte als junger rechter Skinhead seine ersten musikalischen Gehversuche tatsächlich in einer Südtiroler Nazi-Band namens 'Kaiserjäger' - wovon er sich aber heute klar distanziert. Sein nächster "Fauxpas" war dann die über einen Zeitraum von knapp fünf Monaten andauernde Kooperation mit der Südtiroler Partei "Die Freiheitlichen". ###mehr-artikel### Er stellte sich für die Brixner Ortsgruppe der mittlerweile stärksten Oppositionspartei in Südtirol zur Verfügung. Diese war ursprünglich eng mit der Haiderschen FPÖ verbunden, geht aber inzwischen eigene Wege. Ein ursprünglich angekündigter Auftritt der Band auf einer Veranstaltung der Partei wurde schließlich abgesagt, womit die Band nicht zuletzt öffentlich unter Beweis stellen wollte, dass sie keinerlei parteipolitische Unterstützung betreibt. Zum Anderen wird häufig aufgegriffen, dass Frei.Wild in Teilen der rechtsextremen und Neonazi-Szene eine ziemliche Beliebtheit genießt – auf die die Band allerdings nach eigenem Bekunden wenig Wert legt. In öffentlichen Statements distanzieren sich die vier Südtiroler immer wieder von "Extremismus jeder Richtung" und achten zum Beispiel mittlerweile sehr genau darauf, dass keine rechtsextremen Symbole bei ihren Konzertbesuchern zu finden sind.
Um es ganz klar zu sagen: Die Band Frei.Wild, wie sie sich heute darstellt, in ihren Texten, öffentlichen Statements und Interviews kann nicht als neonazistisch bezeichnet werden. Das behaupten so allerdings auch die Wenigsten. Die deutsche Band Jupiter Jones zum Beispiel formuliert es so: "Wir sagen Frei.Wild sind keine Nazis, sie sind aber auch nicht unpolitisch, denn sie sind ja nun offensichtlich mal sehr nationalistisch, völkisch, patriotisch unterwegs." Jupiter Jones gehören zu den Musikern, die durch ihre öffentliche Kritik an Frei.Wild den Unmut von deren Fans auf sich gezogen haben und im Netz massive Beschimpfungen über sich ergehen lassen mussten. Aber es gibt auch noch andere: Die Formation Jennifer Rostock zum Beispiel ließ öffentlich verlauten, dass sie keine Frei.Wild-T-Shirts auf ihren Konzerten sehen wolle. Die Bands Kraftklub und MIA wiederum sagten ihre Teilnahme an der diesjährigen Verleihung der "Echo"-Musikpreise ab, weil sie nicht mit Frei.Wild in einer Reihe der Nominierten stehen wollten. Das führte letztendlich zur Ausladung der Südtiroler seitens des Bundesverbandes der Musikindustrie - mit der schwachen Begründung, es solle verhindert werden, "dass der Echo zum Schauplatz einer öffentlichen Debatte um das Thema der politischen Gesinnung wird."
"Identitätsrock" oder einfach "Deutschrock"?
Kritiker wie die genannten Bands, verschiedene Medienvertreter und auch Wissenschaftler formulieren also keinen Neonazismus-Vorwurf. Sie verwenden vielmehr Begriffe wie "rechtsoffen" oder "Grauzone" für Frei.Wild und bezeichnen ihre Musik auch als "Identitätsrock", während die Südtiroler selbst auf ihren T-Shirts offensiv die Bezeichnung "Deutschrock" propagieren. Was aber macht nun diese Band, ähnlich wie die von ihnen verehrten Böhsen Onkelz, so anschlussfähig - sowohl für Menschen mit rechtsextremen Positionen, als auch für eine breite Masse im scheinbaren Mainstream der Gesellschaft, die ihnen den immensen Erfolg beschert?
Die Antwort ist wohl am ehesten im Heimatbegriff von Frei.Wild zu suchen – und wie sie diesen propagieren. So heißt es zum Beispiel im Lied "Südtirol":
"Südtirol, wir tragen deine Fahne,
denn du bist das schönste Land der Welt,
Südtirol, sind stolze Söhne von dir,
unser Heimatland, wir geben dich nie mehr her.
Südtirol, deinen Brüdern entrissen,
schreit's hinaus, lasst es alle wissen,
Südtirol, du bist noch nicht verlor'n,
in der Hölle sollen deine Feinde schmor'n.
Heiß umkämpft war dieses Land ja immer schon,
und ich sag's, ich sag's mit Freude, ich bin dein Sohn,
Edle Schlösser, stolze Burgen und die urigen Städte
wurden durch die knochenharte Arbeit unser Väter erbaut.
Kurz gesagt, ich dulde keine Kritik
an diesem heiligen Land, das unsre Heimat ist,
darum holt tief Luft und schreit’s hinaus,
Heimatland wir geben dich niemals auf."
An dieser Art von Heimatbezug nun kam und kommt vor allen Dingen von deutschen Medien immer wieder Kritik auf. Frei.Wild-Sänger Philipp Burger reagiert darauf wie im folgenden Interview mit der Website "laut.de": "Wir sind in diesem Umfeld aufgewachsen und sprechen aus unserer Sicht als Südtiroler, nicht als Deutsche. Das verstehen einige anscheinend nicht. Da muss ich doch nicht andauernd Rücksicht darauf nehmen, dass man als Deutscher keinen Nationalstolz entwickeln oder zeigen darf, weil man sofort als Nazi beschimpft wird." Als Südtiroler reklamiert Burger für sich, eine "unbefangenere" Art von Heimatstolz und Heimatliebe entwickeln zu können, wie sie auch im Frei.Wild-Stück "Wahre Werte" zur Geltung kommen:
"Da, wo wir leben, da wo wir stehen
Ist unser Erbe, liegt unser Segen
Heimat heißt Volk, Tradition und Sprache
Für uns Minderheiten eine Herzenssache
Das, was ich meine und jetzt werft ruhig Steine
Wir sind von keinem Menschen die Feinde
Wir sind verpflichtet, dies zu bewahren
Unser Tirol gibt's seit 1200 Jahren
Wo soll das hinführen, wie weit mit uns gehen
Selbst ein Baum ohne Wurzeln kann nicht bestehen
Wann hört ihr auf, eure Heimat zu hassen
Wenn ihr euch Ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen
Du kannst dich nicht drücken, auf dein Land zu schauen
Denn deine Kinder werden später darauf bauen
Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat
Ohne sie gehen wir unter, stirbt unser kleines Volk"
Um diese Position zu verstehen, ist es vielleicht hilfreich, sich ein paar geschichtliche Hintergründe zu vergegenwärtigen: Südtirol wurde, nachdem es über Jahrhunderte fast durchgängig unter der Regentschaft der Habsburger stand, mit dem Ende des Ersten Weltkriegs dem Staat Italien zugeschlagen. Mit der Machtergreifung der Faschisten 1922 begann eine beispiellose "Italienisierung" der Region, die deutsche Sprache wurde unterdrückt, Städte- und Landschaftsnamen ins Italienische "übersetzt" und die "Tiroler Bevölkerung" hatte unter Repressalien zu leiden. ###mehr-galerien### Große Hoffnungen setzten einige von ihnen ausgerechnet in Adolf Hitler. Dieser vereinbarte jedoch mit Mussolini in einem Abkommen 1939 die sogenannte "Option": Die Südtiroler konnten nun wählen, ob sie in ihrer "italienisierten" Heimatregion bleiben wollten oder sich für eine Auswanderung nach Deutschland entscheiden – was Zehntausende auch taten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann ein Autonomiestatus für Südtirol beschlossen. Die italienische Regierung fasste Südtirol allerdings mit dem überwiegend von italienischsprachiger Bevölkerung bewohnten Trentino zusammen, das durch seine Mehrheit auch die Entscheidungen dominieren konnte. Eine starke Zuwanderung aus den ärmeren Regionen Ober- und Süditaliens nach Südtirol stieß schließlich auf Widerstand in der bisher ansässigen Bevölkerung. Dieser gipfelte letztendlich in den Umtrieben des deutsch-national gesinnten "Befreiungsausschuss Südtirol" (BAS) und von Folgegruppierungen, die die Loslösung Südtirols von Italien durch Bombenattentate erzwingen wollten. Nach langen Auseinandersetzungen, vor allem auf internationaler diplomatischer Ebene, besitzt Südtirol heute eine weitgehende echte Autonomie und konnte sich zu einer der wohlhabendsten Regionen Italiens entwickeln. Allerdings gab es, ausgelöst durch die drohende Zahlungsunfähigkeit Italiens im Jahr 2011 in letzter Zeit wieder vermehrt Auseinandersetzungen um erneute Beschneidungen dieses Autonomiestatus.
Kritik wird rundheraus abgelehnt
So lassen sich Textzeilen wie "deinen Brüdern entrissen" und "Heimat heißt Volk, Tradition und Sprache, für uns Minderheiten eine Herzenssache" zumindest einordnen und nachvollziehen (auch wenn die deutschsprachigen Südtiroler heute fast 70 Prozent der Einwohner in der Autonomen Region Südtirol-Trentino stellen, Bezug genommen wird hier wohl auf den Gesamtstaat Italien).
"Sie richten über Menschen, ganze Völker sollen sich hassen
Nur um Geschichte, die noch Kohle bringt, ja nicht ruhen zu lassen
(…)
Ich scheiße auf Gutmenschen, Moralapostel
Selbst ernannt, sie haben immer Recht
Die Übermenschen des Jahrtausends
Ich hasse sie wie die Pest
Journalisten, Priester, die einfach immer alles wissen
Die nur schreiben, die nur richten, und die Wahrheit finden sie beschissen"
Und in ihrem Stück "Land der Vollidioten" nimmt die Band dann entsprechend auch kein Blatt vor den Mund:
"Die höchsten Leute im Staat
beleidigen Völker ganzer Nationen
und ihr Trottel wählt Sie wieder.
Kreuze werden aus Schulen entfernt, aus Respekt
vor den andersgläubigen Kindern
Das ist das Land der Vollidioten
die denken, Heimatliebe ist gleich Staatsverrat.
Wir sind keine Neonazis und keine Anarchisten,
wir sind einfach gleich wie ihr... von hier."
Das aber, was in den Texten und Äußerungen von Frei.Wild im Zusammenhang zum Vorschein kommt, ist letztendlich ein Heimatbegriff, der von der Neuen Rechten gerne "ethnopluralistisch" genannt wird. Dessen Verfechter definieren Ethnien nicht nach ihrer Abstammung, sondern nach ihrer Zugehörigkeit zu einer "Kultur", um sie so von "Fremden" zu unterscheiden. Diese nämlich gefährden dieser Theorie nach die "eigene Identität". Deshalb wird jedem "Volk" das gleiche Recht und der gleiche Anspruch auf seine nationale und kulturelle Identität zugestanden, allerdings ausschließlich "an seinem angestammten Ort". Als Konsequenz daraus werden dann natürlich auch Migration und gemischt-ethnische Gesellschaften weitestgehend abgelehnt.
Problematischer Heimatbegriff
Ein solcher Heimatbegriff allerdings verkennt prinzipiell, dass neuere Theorien der Hybridität nahe legen, dass man sehr wohl mehrere Identitäten haben kann. Man kann zum Beispiel sehr wohl Sorbe UND Deutscher sein – und, wie sich gerade in der Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft gezeigt hat, sich beispielsweise auch als Deutscher UND Türke fühlen. ###mehr-info### Bei Wikipedia findet sich schließlich die definitorische Feststellung: "In den neueren Gesellschaftswissenschaften vertritt man inzwischen einhellig die Auffassung, dass Völker im Sinne ethnischer oder religiöser Gemeinschaften Konstrukte, "gedachte Ordnungen" bzw. "imaginierte Gemeinschaften" darstellen." Legt man diese Überlegungen zugrunde, wird erst recht klar, warum ein Heimatbegriff dann problematisch wird, wenn er mit den Kategorien "Volk" und "Land" operiert und als Besitzanspruch formuliert wird: Er läuft sehr schnell Gefahr, ausgrenzend zu werden. Der Politikwissenschaftler Günther Pallaver von der Universität Innsbruck vertritt deshalb in der ZEIT die Auffassung: "Frei.Wild besingen eine Blut-und-Boden-Ideologie und knüpfen genau dort an, wo man 1945 geglaubt hatte, einen Bruch vollzogen zu haben." Er meint, die Band vertrete "typische Diskurse der Zwischenkriegszeit, die von den Deutschnationalen stammten."
Vermischt mit hymnenhaften Loblied-Elementen, die auf geradezu schlagerartige Weise die landschaftliche Schönheit eben dieser bewussten Heimat des "Südtiroler Volks" besingen (Frei.Wild-Sänger Burger schrieb tatsächlich auch für die Kastelruther Spatzen), ist genau dieser tendenziell ausgrenzende Heimatbegriff nun aber offenbar auch enorm anziehend für eine große Anzahl von Menschen, die sich als "unpolitisch" oder in der "politischen Mitte" verstehen. ###mehr-links### Er bietet hohes Indentifikationspotenzial, auch für Nicht-Südtiroler. Auch für ganz normale Deutsche und Österreicher. Und als Projektion insbesondere für solche, die eine zumindest ambivalente Haltung haben der Gesellschaft gegenüber, in der sie leben. Solche, die sich angegriffen oder machtlos fühlen, unzufrieden sind. Jens Uthoff bilanziert das in der taz wie folgt: "Die Funktion von Frei.Wild: Verlierern eine Stimme geben, sie zu stolzen Menschen machen – und wenn es in ihrem Leben nichts zum Stolzsein gibt, ist ja noch die Heimat da. Man suggeriert den Fans, wie wild, böse und anders sie doch sind, dass sie "ihren Weg" gehen und "eigenständig denken". Eine kämpferische Rhetorik – meist vereinfacht auf ein "wir vs. die" – tut ihr Übriges."
Einfache Fragen
Wollte Frei.Wild in Zukunft tatsächlich dauerhaft rechten Zuschreibungen entgehen - auf die Gefahr hin, einige Fans aus dem rechten Lager als auch aus "der Mitte" zu verlieren – könnte sich die Band vielleicht ein paar einfache Fragen stellen:
Können wir aus vollem Herzen Südtiroler UND Italiener sein? Können wir im Zweifelsfall, wenn schon Südtiroler Patrioten, dann vor allem Demokraten sein, die andere Interessen akzeptieren, Kritik und Debatten aushalten? Können wir uns auch in Zukunft ein (Süd-)Tirol vorstellen, in dem nicht nur Deutsch gesprochen wird? Und schließlich: Können wir uns nicht auch positiv auf "Heimat" beziehen, ohne völkische Anmutung und teilweise aggressive Abgrenzung? So, wie das zum Beispiel die deutsche Band Sportfreunde Stiller in ihrem "Heimatlied" tut:
"Es kommt mir hier so vor
so ähnlich wie nach dem perfekten Tor
wie nach 'ner langen Fahrt zurück
wie Liebe auf den ersten Blick
wie nach 'nem heißen Tee
an 'nem kalten Wintertag wie 'ne gute Idee
wenn einem lange nichts
lange nichts mehr einfallen mag
Denn hier, denn hier bist du Mensch
hier kannst du's wirklich sein
und das schöne daran
ist, dass ich's jeden Tag sehen kann
und das Schöne daran
ist, dass ich's zu jeder Zeit bewundern kann
und das Schöne daran
ist, dass es all das wirklich gibt
wer hätte das gedacht
Es ist ein Heimatlied!"