"Jetzt nörgeln wir mal." So ist am Samstag ein Artikel in der offiziellen Kirchentagszeitung überschrieben. Es geht allerdings ausschließlich um organisatorische Dinge, Warteschlangen, Drängeleien. Inhaltliches bleibt außen vor. Dabei gibt der 34. Deutsche Evangelische Kirchentag in Hamburg vielerlei Anstöße, Unbehagen über religiöse und gesellschaftliche Tendenzen zu empfinden. Vieles davon wird artikuliert, manches lautstark, einiges leise, anderes wird dezent unter den breiten christlichen Teppich geschoben.
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Ein gutes Beispiel ist die Ökumene. Da herrschen seit Jahren inhaltlicher Stillstand und atmosphärische Melancholie. Diesen Befund unterstreicht eindrücklich die Kirchentagsveranstaltung "Beziehungen genießen: Ein Toast auf die Ökumene!" am Freitagabend. Rund 400 Besucher werden in einem dämmrig erleuchteten Saal des Hamburger Congresscentrumss an runden Tischen platziert, es gibt Brotstückchen, Käse und Schokolade. Von der Decke schummert es rot und blau, für die musikalische Untermalung sorgt eine bluesige Pianistin aus Holland.
Der größte Fauxpas tut sich gleich zu Beginn auf. Der orthodoxe Erzprister Radu Constantin Miron, um ein Tischgebet gebeten, betritt die Bühne und weigert sich, ein Tischgebet zu sprechen. Stattdessen erzählt er, wie er von den Veranstaltern um ein Tischgebet gebeten wurde, obwohl an diesem Freitag der orthodoxe Karfreitag ist, mithin ein Fasttag. Ein Tischgebet an einem Fasttag, das geht für einen orthodoxen und für jeden anderen Christen nun gar nicht. Miron, der auch sonst nie um ein sarkastisches Wort verlegen ist, erzählt die Geschichte augenzwinkernd, hinterlässt dennoch betretenes Schweigen.
Tischgebet am orthodoxen Fasttag
Für ein wenig Auflockerung sorgen sodann die "Spieler". Bei der evangelischen Kirchensynode im November in Timmendorfer Strand hatte die Hamburger Stegreif-Theatergruppe noch für blendende Stimmung gesorgt – diesmal aber gelingt ihnen nur ein bemühter Auftritt. Das hatte sicherlich auch mit dem Thema Ökumene zu tun, bei dem es nicht so viel zu lachen gibt. "Wenn dir das Leben Zitrone gibt, mach Limonade daraus", war noch einer der besseren Sprüche der Improvisationsfachleute.
Zwischendurch wurden in schöner Regelmäßigkeit ein "Toast auf die Ökumene" ausgebracht. Es traten auf: ein bekannter Hamburger Katholik, der Frau und Kinder verließ, mit seiner neuen Partnerin, einer evangelischen Pfarrerin; ein gemischtes Team von Notfallseelsorgern, die verzweifelt zu erklären versuchten, warum die Ökumene von Extremsituationen profitiert; schließlich die nördlichen Kirchenfürsten, Bischof Gerhard Ulrich (evangelisch) und Erzbischof Werner Thissen (katholisch). Beide sprechen, wie könnte es anders sein, über die Lübecker Märtyrer, ohne die die norddeutsche Ökumene wahrlich arm dastünde.
Nun hätte man sich das alles schöntrinken können, doch in der Ökumene wird zwar Wein gepredigt, doch angestoßen wird bestenfalls mit Wasser oder Traubensaft. Nun ist so ein Bankett selbtredend der falsche Ort, um die Konfessionen kontroverstheologisch auseinanderzunehmen. Doch ein kleiner Hauch kritischer Reflexion hätte es schon sein dürfen. Warum nicht ein gemischtkonfessionelles Paar, das unter der Trennung beim Abendmahl leidet? Warum nicht Theologen, die die Knackpunkte charmant darzulegen wissen?
Katholische Kirche stellt Ökumenemagazin ein
Stattdessen lassen sich die Gäste mit dem inzwischen provokant klingenden Satz abspeisen: "Uns verbindet mehr, als uns trennt." Doch wo steht die Ökumene wirklich? Wo steht sie, da in keiner der wichtigen konfessionellen Streitfragen irgendeine Bewegung erkennbar ist? Wo steht sie, da die evangelische Kirche noch immer nicht weiß, was, wie und mit wem sie 2017 Luthers legendären Thesenanschlag feiern soll? Wo steht sie, da die katholische Kirche gerade beschlossen hat, ein wichtiges Ökumenemagazin einzustellen, die einzige wöchentlich erscheinende Publikation zum Thema? Wo steht sie, da die beiden Großkirchen die Orthodoxie und andere noch immer an den Rand drängen?
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Das Beziehungsgenussfest beim Kirchentag, für 20 bis 22.30 Uhr terminiert, ist ein vergleichsweise kurzes Vergnügen. "Auch der schönste Abend geht einmal zu Ende", verkündet Moderator Markus Leitschuh bereits um 21.55 Uhr, und man ist sich nicht ganz sicher, ob auch das Sarkasmus ist. Immerhin bleibt den Besuchern danach noch Zeit, am verordneten Aufräumen der Tische mitzuwirken. Nicht dass noch irgendwo ein Brocken Toastbrot übrigbleibt. Die Gäste nehmen es eher mit einem lachenden Auge. Selbst die sprichwörtliche ökumenische Ungeduld scheint ihnen abhanden gekommen zu sein. Wie hatten die Spontanspieler zuvor so treffend gesagt: "Wenn man scheitert, scheitert man heiter."