Seine "vorläufige Antwort" auf die Frage, ob Parlamente mit den zunehmenden Informationen und Vorgängen überfordert seien, sei zwar Ja, sagte Lammert am Donnerstag auf dem evangelischen Kirchentag in Hamburg. Mehr Bürgerbeteiligung sei deswegen nötig. Damit sei die Frage, ob Volksentscheide Parlamentsentscheidungen überlegen seien, aber noch nicht beantwortet.
"Ich bin im Moment der Meinung, dass repräsentative Demokratie unterschätzt, während die plebiszitäre Demokratie eher überschätzt wird", sagte Lammert. Er verwies dabei auch auf die geringe Beteiligung an Wahlen allgemein und bei Volksentscheiden im besonderen.
Lammert sprach auf dem Kirchentag bei einer Veranstaltung unter dem Titel "Medien, Bürger Parlamente - Wer hat die Macht?" Dabei nahm der Parlamentspräsident, der in der Vergangenheit die Medien oft gescholten hatte, Journalisten gegen den Vorwurf des Machtmissbrauchs indirekt in Schutz. "Weder haben bei uns die Medien die Macht, noch die Bürger, noch das Parlament oder die Wirtschaft", sagte er: "Keiner hat die Macht - und jeder ein bisschen." Das sei Wesen der Demokratie.
Der stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit", Bernd Ulrich, widersprach dem Vorwurf, Medien würden aus eigenem Antrieb Hetzjagden auf Politiker forcieren. In Wahrheit seien Politik und traditionelle Medien inzwischen Getriebene, sagte der Chef des Politikressorts der Zeitung. Antreiber ist in seinen Augen das, was unter anonymisierten Nutzernamen als Kommentar oder Twitter-Botschaft ins Internet gelangt.
Die traditionellen Medien hätten das Gefühl, bei im Internet aufkommenden Themen dabei sein zu müssen, vermutet Ulrich. Dahinter stecke eine "Todesangst der konventionellen Medien", die falsch und unnötig sei. Journalismus werde es weiter geben. "Die Zeitungen waren früher nicht besser, sie hatten es besser", sagte Ulrich. In seinen Augen sei der Journalismus heute sogar besser als früher. Ulrich appellierte, sich von "falschen Aufgeregtheiten" im Internet "nicht aufregen zu lassen".