Der Schriftsteller und Jurist Bernhard Schlink veröffentlichte 2008 seinen vielbeachteten Roman "Das Wochenende" über ein ehemaliges Mitglied der Rote-Armee-Fraktion, das frisch aus der Haft entlassen auf eine ihm fremd gewordene Welt trifft. In Schlinks literarischer Fantasie ist es ein abgedankter, durch eine Krebserkrankung impotenter Ex-Revolutionär, der mit etablierten Wohlstandsbürgern kollidiert, die mehr an ihren Neurosen und Geschichtsmystifizierungen als an der Parole "Der Kampf geht weiter!" interessiert sind.
Die Regisseurin Nina Grosse hat für ihre Verfilmung nun das verschlungene Gruppenporträt des Romans entschieden entschlackt. Ihre schlüssige Bearbeitung will keine voyeuristische Doku-Fiction sein, obwohl Ähnlichkeiten mit Topoi der RAF-Geschichte nicht zufällig sind. Die Handlung konzentriert sich kompakt auf die Zeitspanne der ersten 48 Stunden im neuen, nicht begriffenen Leben des von Sebastian Koch verkörperten Haftentlassenen.
Der Film lässt dessen gepanzertes Ego auf Fremde und Fremdgewordene treffen, die er des Verrats verdächtigt, verachtet und kränkt. Die entscheidende der vielen geänderten Akzente des Drehbuchs im Vergleich zum Roman ist dabei, dass der ehemalige RAF-Mann Jens Kessler nicht durch Alter, Haft und Krebs demontiert und kastriert wirkt. So, wie ihn Koch darstellt, könnte er "anschlussfähig" an die Gegenwart sein. Vorausgesetzt, etwas bewegt sich in ihm an diesem Schlüsselwochenende.
Der Film versammelt ein namhaftes deutsches Schauspielensemble: Tina (Barbara Auer), die mütterliche Schwester Kesslers, kann sich das erste Wochenende mit dem Bruder auf dem Land nur vorstellen, wenn Inga (Katja Riemann), Kesslers Exfrau, sie durch einen Besuch unterstützt. Inga, eine erfolgreiche Literaturagentin, zögert zunächst, wird aber von ihrem Ehemann, dem selbstsicheren Geschäftsmann Ulrich (Tobias Moretti), aus Neugier auf die vergangene Geschichte seiner Frau überredet. Auch der gemeinsame Jugendfreund Henner (Sylvester Groth), einst mehr als nur ein Sympathisant, heute ein Bestsellerautor ausgerechnet mit einem Buch über die RAF, stößt zu der kleinen Runde hinzu.
Wechselspiel der brüchigen Stimmungslagen
Die folgenden Tisch- und Küchengespräche in dem schattigen alten Haus sind als spannendes Wechselspiel der brüchigen Stimmungslagen inszeniert. Freundliche WG-Atmosphäre kippt in scharfe Wortwechsel, sonniges Herbstlicht draußen konkurriert mit dem schattigen Helldunkel der Innenräume, im Offenen wie in den intimeren Zwiegesprächen nimmt der Kollisionskurs Fahrt auf.
Sebastian Koch gibt dem Ex-Guerillero mit schauspielerischem Understatement die Kontur eines In-sich-selbst-Verschlossenen, der in dieser Situation plötzlich das alte Alphatier in sich entdeckt. Das Wochenendarrangement der besorgten Schwester explodiert in dem Moment, in dem Kesslers Sohn Gregor (Robert Gwisdek) als zorniger junger Mann auftaucht. Seine Geschichte, seine Konfrontation mit dem Alten, der den militanten Kampf wichtiger fand als sein Kind, ist der dramatische Kern des Films.
"Das Wochenende" stellt die brisante Frage noch einmal, wie sich das Private und das Politische wechselseitig bedingen. Doch der Film hält ein Ende bereit, das in Blicken, Gesten und Andeutungen dafür plädiert, dass die Gäste dieses Treffens einander auf Augenhöhe zu begegnen gelernt haben. Ohne Gewalt übrigens.
Regie: Nina Grosse. Buch: Nina Grosse (nach dem gleichnamigen Roman von Bernhard Schlink). Mit: Sebastian Koch, Sylvester Groth, Katja Riemann, Tobias Moretti, Barbara Auer, Robert Gwisdek, Elisa Schlott. L: 93 Minuten. FSK: ab 12 Jahre.