"Das Verbrechen, das hier stattgefunden hat, schreit bis heute zum Himmel", sagte er am Sonntag bei einer Gedenkveranstaltung in dem Bergort in der Toskana in Anwesenheit seines italienischen Amtskollegen Giorgio Napolitano. Es verletze das Empfinden für Gerechtigkeit tief, wenn Täter nicht überführt und bestraft werden könnten, weil die Instrumente des Rechtsstaats dies nicht zuließen.
Gauck spielte mit seiner Bemerkung auf die in Italien mit Empörung aufgenommene Einstellung des Verfahrens zu dem SS-Massaker durch die Staatsanwaltschaft Stuttgart im vergangenen Herbst an. Den Beschuldigten könne eine Beteiligung an der Tötung der Bewohner und der anwesenden Flüchtlinge nicht nachgewiesen werden, hieß es zur Begründung. Für eine rechtskräftige Verurteilung muss nach deutschem Recht jedem einzelnen zweifelsfrei Motiv und Beteiligung an dem Vergehen nachgewiesen werden.
"Hier in Sant'Anna wurde Recht massiv verletzt"
Vor diesem Hintergrund wies Gauck darauf hin, "dass Schuld nicht nur als strafrechtliche Schuld existiert". Nur für diese seien die Gerichte zuständig, betonte er in Sant'Anna di Stazzema. Die öffentliche Benennung von Schuld und Schuldigen mache ein "Urteil über Täter oder Opfer also auch möglich, wenn Gerichte nicht zu einem Schuldspruch gelangen können".
Gauck gestand bei seinem Besuch an dem Ort, wo eines der schwersten Kriegsverbrechen aus der Zeit der deutschen Besetzung Italiens zwischen 1943 und 45 stattfand, die Schwierigkeit ein, "sich zu einer großen Schuld zu bekennen und mit einem schrecklichen Verbrechen konfrontiert zu werden, das von eigenen Landsleuten begangen worden ist".
Dabei würdigte er den damaligen Einsatz des heutigen italienischen Staatspräsidenten im Widerstand gegen Faschismus und Nationalsozialismus. "Hier in Sant'Anna wurde Recht massiv verletzt und Menschenwürde mit Füßen getreten." Darum sei es ein "Wunder", dass zwischen beiden Länder Versöhnung stattgefunden habe.
"Versöhnung ist letztlich ein Geschenk"
Diese könne nie verlangt oder erzwungen werden, sondern nur erbeten und gewährt. Gauck: "Versöhnung ist letztlich ein Geschenk, das großzügig gegeben wird und das man nur mit Dankbarkeit annehmen kann". Seinen gemeinsamen Besuch mit Napolitano in Sant'Anna di Stazzema wertete der Bundespräsident als "unübersehbares Zeichen dafür, dass hier Versöhnung stattgefunden hat".
SS-Einheiten töteten am 12. August 1944 aus Rache für Angriffe von Widerstandskämpfern in der Umgebung die Bevölkerung des Bergortes und die anwesenden Flüchtlinge, darunter viele Frauen und Kinder. Bei dem Massaker kamen zwischen 400 und 560 Menschen ums Leben. Ein italienisches Militärgericht verurteilte 2005 zehn ehemalige SS-Angehörige in Abwesenheit zu lebenslangen Haftstrafen und Entschädigungszahlungen.