Vor der ersten Zivilkammer des Landgerichts erhielten am Mittwoch die Vertreter der Kläger und der beklagten Bundesrepublik Gelegenheit, sich zu äußern. (AZ: 1 O 460/11). Kläger sind ein Vater, dessen zwei Kinder mutmaßlich bei der Bombardierung getötet wurden, sowie eine Mutter von sechs Kindern, die nach eigenen Angaben ihren Mann und damit den Ernährer der Familie verlor. Sie verlangen Entschädigungszahlungen in Höhe 40 000 Euro beziehungsweise 50 000 Euro.
Der Vorsitzende Richter Heinz Sonnenberger stellte klar, dass vor einer Annahme der Klage durch das Gericht noch zentrale Fragen zu klären seien. So müsse geprüft werden, ob die Kläger tatsächlich Angehörige verloren hätten und ob durch den Luftangriff gegen humanitäres Völkerrecht verstoßen wurde. Auch sei zu prüfen, ob bei dem Luftangriff das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde. Die Feststellung der genauen Opferzahl könne daher bedeutsam werden.
Der die Kläger vertretende Bremer Rechtsanwalt Karim Popal und der Bremer Völkerrechtsexperte Peter Derleder sprachen vor Gericht von einem Verstoß gegen das Völkerrecht und warfen dem damaligen Kommandeur für Kundus, Oberst Georg Klein, eine grob fahrlässige Amtspflichtverletzung vor. Er habe trotz Bedenken aufseiten der US-Jetpiloten die Bombardierung der Laster samt Menschenmenge veranlasst und auf das Angebot der Piloten, zunächst einen abschreckenden Tiefflug zu fliegen, verzichtet. Videoaufnahmen eines Aufklärungsflugzeugs belegten, dass überwiegend Zivilisten an den feststeckenden Tanklastern versucht hätten, Treibstoff zu zapfen.
"Verhalten von Oberst Klein völkerrechtlich zulässig"
Vertreter des Bundesverteidigungsministeriums hingegen forderten, die Klage abzuweisen. Die Bundesrepublik sei nicht zu verklagen, denn Oberst Klein sei im Rahmen der NATO nicht in deutsche, sondern in internationale Befehlsstrukturen eingebunden gewesen, erklärte Rechtsanwalt Mark Zimmer. Zudem sei bereits juristisch geklärt worden, dass das Verhalten von Oberst Klein völkerrechtlich zulässig gewesen sei. In der betreffenden Nacht habe dessen Informant vor Ort ausschließlich von Aufständischen bei den entführten Lastern gesprochen.
Zudem seien die bereits erfolgten humanitären Unterstützungszahlungen in Höhe von insgesamt umgerechnet 347.000 Euro an 91 bedürftige Familien in der Region Kundus samt Sachhilfen ausreichend, erklärten die Vertreter des Verteidigungsministeriums. Die Opfervertreter machten jedoch deutlich, dass damals lediglich eine afghanische Männerversammlung mit der Verteilung dieser Gelder beauftragt worden sei, ohne die Bedürftigkeit der Familien im einzelnen zu prüfen. Die verwitwete Klägerin etwa habe "keinen Cent" erhalten, sagte Rechtsanwalt Popal.
"Wir halten die Klage für zulässig"
Richter Sonnenberger ließ durchblicken, dass das Gericht die Klage sehr wahrscheinlich zulässt. "Wir halten die Klage für zulässig", sagte er. Neben der Frage, ob gegen das Völkerrecht verstoßen wurde, müsse auch das deutsche Staatshaftungsrecht in Verbindung mit Artikel 34 des Grundgesetzes (Verletzung von Amtspflichten) mit in Betracht gezogen werden. Einer persönlichen Anhörung der afghanischen Kläger vor Gericht, einschließlich der Ladung eines US-amerikanischen Zeugen, stimmte der Richter zu. Die Fortsetzung des Verfahrens ist für den 17. April geplant.
Bei dem Luftangriff bei Kundus im Norden Afghanistans am 4. September 2009 waren zwei von Taliban entführte Tanklastwagen und die sich in nächster Nähe befindlichen Menschen bombardiert worden. Der damalige Bundeswehr-Kommandeur von Kundus, Oberst Klein, hatte die Bombardierung veranlasst. Die Angaben zur genauen Zahl der Opfer schwanken. Die Bundeswehr geht von 91 Toten und elf Verletzten aus.