Riskier was, Mensch: Mit Gottes Hilfe über's Wasser gehen

Foto: epd-bild/Paula Winkler
Die Fastenaktion der evangelischen Kirche: "7 Wochen ohne Vorsicht: Riskier was, Mensch!"
Riskier was, Mensch: Mit Gottes Hilfe über's Wasser gehen
Mit einem Fernsehgottesdienst in Fulda hat die Evangelische Kirche in Deutschland ihre Fastenaktion "7 Wochen Ohne" eröffnet. Die Predigt zum Motto "Riskier was, Mensch!" hielt Susanne Breit-Kessler, Regionalbischöfin in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Evangelisch.de dokumentiert die Predigt im Wortlaut.
17.02.2013
Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler

Liebe Gemeinde hier und an den Bildschirmen, liebe Schwestern und Brüder!

###mehr-links###

Es ist eine wilde Geschichte: Jesus schickt die Jünger weg, er will mal alleine sein. Seine Freunde geraten in Seenot. Aber er greift erst in der vierten Nachtwache ein -  und als er endlich kommt, um zu helfen, geraten sie in Panik. Uaahhh - ein Geist! Jesus gibt sich zu erkennen, tröstet sie, und gleich wird Petrus übermütig. Er riskiert was und läuft los. Mitten übers Wasser. Als ihm so richtig bewusst wird, was er da überhaupt tut, sinkt er. Jesus rettet ihn und ist ärgerlich wegen des Kleinglaubens aller seiner Freunde, die ihm nicht zutrauen, dass er ihnen schier übermenschliche Kräfte schenken kann. Sie sind erst zufrieden, als er das Wetter besänftigt, der Alltag sozusagen wieder einkehrt. Als alles normal läuft, huldigen sie ihm.

Wir haben der Fastenzeit dieses Jahr das Motto gegeben: "Riskier, was, Mensch! Sieben Wochen ohne Vorsicht." Wir haben unser Leben mit Umsicht, aber auch volles Risiko zu leben - denn Gott überantwortet es uns. Macht mal voran, fahrt raus... Tut etwas, auch wenn ich scheinbar nicht da bin. Werdet aktiv. Und wenn es riskant wird, kommt der Übervater nicht gleich angeschossen. Wir sind selber dran, unser Leben zu gestalten – mit seinen Highlights und den dunklen Zeiten.  Nächte vergehen schlaflos, Tage sind mühsam. Glaube ist keine Schutzimpfung, kein Rundum-Sorglos-Paket. Glauben heißt, sich dem Leben und seinen Stürmen stellen: In der Schule, bei Klassenarbeiten;  wenn man Liebeskummer hat, Krisen in der Partnerschaft zu bewältigen sind, Ärger am Arbeitsplatz droht.

Gottes Gegenwart spielt sich nicht in beschaulichen Winkeln ab

Die Nähe Gottes, die uns verheißen ist, spürt man nicht immer, schon gar nicht sofort. Und wenn er dann doch kommt, eingreift, merkt man es nicht gleich. Kriegt sogar Panik. Seine Gegenwart spielt sich nämlich nicht bloß in beschaulichen Winkeln ab, daheim in den eigenen vier Wänden, auf dem Meditationshocker, im festlichen Gottesdienst. Er ist kein kuscheliger Teddybär zum im Arm halten, ein lieber Lieber-Gott - sondern ein Gott, im Elend geboren, als Kind auf dem Weg ins Asyl, als junger Mann verhört, gefoltert, ans Kreuz geschlagen. Gott, der das Licht ist, ist mit der Finsternis bestens vertraut. Er ist auch auf hoher See, in den Stürmen des Lebens höchst präsent. Seine Nähe ist erschreckend, herausfordernd... Riskier' was, Mensch!

Riskier was Mensch! Susanne Breit-Kessler zur Fastenaktion der Evangelischen Kirche 2013.

Gott, der sein Leben für uns riskiert, ermutigt uns, selber etwas zu wagen, Ungewöhnliches zu probieren: Raus aus der Bequemlichkeit, aus dem sicheren Hafen - hinaus ins, ja, manchmal feindliche Leben. Ich weiß schon, das fällt nicht leicht. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, sagt man. Und es ist ja auch richtig, dass man nicht blindwütig jedes Risiko auf sich nimmt, ohne auch nur einmal nachzudenken. Von der Sorte haben wir schon genug - man denke nur an die Luftnummern im Finanzbereich, die ganze Volkswirtschaften zu Grunde richten und Menschen ihres ganzen Vermögens berauben, ihnen die Altersversorgung kaputt machen. Das Risiko, zu dem Jesus ermuntert, macht Menschen und Völker nicht kaputt, sondern frei.

Komm her, sagt Jesus. Geh in meine Richtung ... Keine Sirenenklänge, sondern himmlische Lockungen, denen man nicht mit tumben Dreisätzen der Art begegnen sollte: Das haben wir noch nie so gemacht, da könnte ja jeder kommen, wo kämen wir denn da hin? Petrus läuft los. Er vertraut dem verführerischen Gott, der Mut macht, Naturgewalten zu trotzen. Der ermuntert, so zu glauben, dass Berge weichen, Hügel hinfallen können und man selbst über ganze Tränenseen hinweg kommt. Wohl gemerkt: Der Sturm tobt nach wie vor, die Wellen schlagen hoch, der Kahn wackelt. Aber Petrus findet mit Gottes Hilfe  einen Weg durch das Chaos - allein auf Vertrauen hin. No risk, no fun? Ohne Risiko kein Spaß? Nein. Ohne Vertrauen kein Risiko - Vorsicht kann man dann fahren lassen, wenn Gott einem winkt.

"Trau dich, nicht mit dem Strom zu schwimmen"

Petrus käme auch ans Ziel, wenn, ja, wenn er sein Vertrauen behielte. Aber wir scheitern, wenn wir uns zu viele Gedanken machen. Was kann alles passieren, wenn ich auf die muslimischen Nachbarn zugehe, um sie willkommen zu heißen? Vielleicht weisen sie mich ab... Was, wenn ich den Eltern, die ein Kind mit einer Behinderung haben, meine Unterstützung anbiete? Ob sie beleidigt sind? Was, wenn ich endlich einmal Nein sage, weil meine Kollegin ihre Arbeit wieder nicht rechtzeitig fertig kriegt und erneut meine Hilfe will? Der Freund zum dritten Mal in einem Jahr über eine verlorene, vermeintlich große Liebe jammert und meine Nächte am Telefon voll in Anspruch nimmt? Und was, wenn ich einen in der Familie ewig unter den Teppich gekehrten Konflikt anspreche?

###mehr-artikel###

Manchmal zieht man ja zurück, bleibt stehen, weil man lieber vorsichtig sein möchte. Was steckt oft hinter dieser Vorsicht? Man möchte sich etwas ersparen: Enttäuschungen, Peinlichkeiten, möglicherweise Scham. Petrus hatte schon Mut gefasst, war schon rausgeklettert, ging bereits auf dem Wasser, er ist super unterwegs. Und dann fällt ihm auf einmal ein, was alles sein könnte: Ertrinken, untergehen. Wir könnten Ablehnung erfahren, verlacht, verspottet werden, wenn wir frohgemut auf andere zugehen. Ärger bekommen, wenn wir eigene Bedürfnisse äußern. Wir könnten attackiert werden, wenn wir Probleme ansprechen, uns erklären und streiten, auseinander setzen müssen, wenn wir etwas ändern wollen. Aus wäre es mit Ruhe und Gemütlichkeit.

Aber der Glaube an Jesus, den Christus ist nicht gemütlich. Trau dich, nicht mit dem Strom zu schwimmen, zu rudern - steh mal drüber und schau dir die Sache aus dieser Perspektive an! Riskier' was, Mensch! Was kann passieren, herrje... Herrje, das heißt eigentlich Herr Jesus. Und der ist kein Freund von Wohlfühlzonen, die der eigenen Bequemlichkeit dienen. Er mochte es so gar nicht, Konflikte zu vermeiden, um es selber gemütlicher zu haben. Hätte er haben können, wollte er aber nicht. Dieser Herr Jesus liebte die Auseinandersetzung nicht um ihrer selbst, sondern um der Wahrheit und des Lebens willen. Er hat sogar sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt, damit wir leben. Komm her! Denk nicht immer, was die anderen denken oder sagen könnten.

Wer liebt, riskiert etwas

Schenk' dir übertriebene Bedenken, denn dann kommst du nicht raus, bleibst immer an Land oder im Kahn, bleibst in deinem Mief - statt zum Beispiel aufrichtig zu sein, die Wahrheit zu sagen, auch wenn es dich etwas kostet. Es stimmt: Es ist ein Risiko, deutlich zu sagen, was man will und was nicht. Laut Protest einzulegen gegen Ungerechtigkeit in der Firma oder jemanden in Schutz zu nehmen, der von anderen angegriffen wird. Damit riskiere ich Leben - aber ganz anders, als man zunächst meint: Ich riskiere zu leben, selbst und mit anderen zusammen. Ich nehme andere ernst und ich zeige Respekt vor mir selber – ich bleibe ehrlich und stehe zu mir, ich halte an meinen Überzeugungen fest und trete entschlossen für sie ein.  

Ein Risiko kann eine "gewinnende" Seite haben. Wir könnten es natürlich vermeiden. Aber nur um einen Preis, der viel zu hoch ist: wenn wir aufhören zu lieben. Denn wer liebt, der riskiert etwas mit allen Sinnen und dem Verstand. Der liebt das Leben, die Liebe, die Freiheit, die Wahrheit, der liebt seinen Nächsten wie sich selbst. Wenn ich es riskiere, auch mal Nein zu sagen, weil mir alles zu viel wird, dann liebe ich meine Gesundheit, die mir Gott geschenkt hat. Wenn ich einem anderen meine Zuneigung gestehe, meine Freundschaft antrage, dann mache ich Zärtlichkeit und Verständnis möglich.  Wenn ich beim Namen nenne, was meinen Partner, meine Familie seit Jahren niederdrückt, dann stoße ich Türen und Fenster auf, damit wir miteinander wieder atmen können. 

Mit Gottes Hilfe über's Wasser gehen, nicht auf versteckten Steinen

Riskier was, Mensch! Trauen wir uns etwas zu, lassen wir uns inspirieren von diesem aufregenden Gott, von seiner heiligen Unruhe, damit wir dahin kommen, wo es ungewöhnlich schön und gut für alle ist. Phantasie und Kreativität sind gefragt. Kleingläubige und Jammerlappen wollen wir ja nicht sein, solche, die nur dann angstfrei sind, wenn es nicht stürmt, wenn wir nicht mehr absaufen können. Hey! Ich will mit Gottes Hilfe über das Wasser gehen und nicht klammheimlich nach trittfesten, sicheren Steinen unter der Oberfläche suchen. Komm her! ruft Jesus und ich laufe allein auf sein Wort hin los. Ich weiß es: Nichts muss so bleiben, wie es ist. Es kann alles anders werden – im persönlichen, im gesellschaftlichen und globalen Leben.

Komm her! Und wenn ich aus meinem Kahn steige, über alle Hindernisse und Abgründe hinweg jesuswärts gehe und doch mal wieder einsinke? Wenn mich die Angst packt vor dem Risiko, das ich auf mich nehme? Jesus aber streckt sogleich die Hand aus und ergreift Petrus. Ich werde nicht endgültig untergehen, nicht in umwerfendem Jubel, nicht in einem Meer von Tränen, nicht in meinem Kummer und nicht vor lauter Höhenflügen. Denn da ist er und ergreift meine Hand, packt mich im Leben wie im Tod und zieht mich zu ihm hin. Glaube kann Berge versetzen, mit ihm kann man übers Wasser gehen. Dazu müssen wir raus aus unseren Kuschelecken, runter vom Sofa! Riskier was, Mensch. Denn dieser ist wahrlich Gottes Sohn, auf den man sich verlassen kann. Amen.