Die Finanz- und Glaubwürdigkeitskrise der Europäischen Union kann nach Ansicht des evangelischen Theologen Thies Gundlach nur durch eine positive Zukunftsvision überwunden werden. Nötig sei eine "neue Hoffnung für Europa, die jungen Menschen nicht nur eine fiskal-berufliche, sondern auch eine kraftvolle und sinnstiftende Perspektive gibt", sagte der Vizepräsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Samstag auf einer europapolitischen Tagung der westfälischen Kirche in Schwerte. Politiker plädierten dafür, die EU besser zu erklären.
Europa setze gegenwärtig eher Bedenken als Begeisterung frei, beklagte Gundlach. "Von einem Europa der Herzen und der Seelen sind wir weiter entfernt als früher." Im Zentrum stünden freier Handel und freier Warenverkehr. Es reiche aber nicht aus, eine gemeinsame Haushalts- und Wirtschaftspolitik zu betreiben, den Euro zu retten und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.
"Einheit in Vielfalt"
Gundlach plädiert für ein "Europa der Freiheit und Solidarität, der Gerechtigkeit und Fairness" mit der Menschenwürde als zentralem Wert. Langfristiges Ziel sollten die "Vereinigten Staaten von Europa" sein, sagte der Theologe. Dabei könne das evangelische Prinzip der versöhnten Verschiedenheit einzelner Kirchen Pate stehen: "Einheit in Vielfalt" sei nicht nur ein Weg zur Überwindung der Kirchentrennung, sondern könne auch engstirnige nationalstaatliche Interessen überwinden.
Als konkreten Schritt zu mehr Begeisterung für Europa schlägt Gundlach die Schaffung eines europäischen Feiertags vor. Zur EU gehörten "viel Verwaltung, viele Sprachen, viele verschiedene Orte, unzählige Gesetze und Verabredungen, aber noch kein wirklich gelebter, gemeinsamer freier Feiertag". Der Vizepräsident des EKD-Kirchenamts regte zudem an, jede große Tageszeitung sollte künftig eine Europa-Seite haben. Englisch sollte zur gemeinsamen öffentlichen Sprache gemacht werden.
"Wir müssen alle lernen, von Europa anders zu sprechen"
Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok plädierte dafür, die Erfolge der EU stärker herauszustellen. Dazu gehörten die Handels- und Reisefreiheit, aber auch Solidarität der Starken mit den Schwachen. Die nordrhein-westfälische Europaministerin Angelica Schwall-Düren (SPD) machte sich für ein "soziales Europa mit gutem Leben für alle Menschen" stark. Die ärmeren EU-Länder bräuchten nicht nur Sparprogramme, sondern Perspektiven. "Wenn wir den anderen helfen, helfen wir uns selbst", betonte die Ministerin.
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EKD-Ratsmitglied Marlehn Thieme sagte, auch die Zivilgesellschaft und die Bevölkerung müssten die EU mit tragen, statt von "denen da oben" zu reden. "Wir müssen alle lernen, von Europa anders zu sprechen", mahnte die Direktorin der Deutschen Bank und Vorsitzende des Nachhaltigkeitsrats der Bundesregierung. Im globalen Wettbewerb müsse sich Europa solidarisch und mit seinen eigenen Werten und Traditionen positionieren.
Zum Auftakt des zweitägigen Treffens von über hundert Vertretern aus Politik und Kirche hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) den europäischen Staaten am Freitagabend mehr Gemeinsamkeit empfohlen. Es gebe "eine gemeinsame Währung, aber keine gemeinsame Politik", Europa brauche aber "eine Seele".