Filmkritik der Woche: "Anna Karenina"

Foto: epd-bild/Universal Pictures
Filmkritik der Woche: "Anna Karenina"
Kein Glück, nirgends: Von "Anna Karenina" gibt es bereits etliche Film- und Bühnenfassungen. Der Regisseur Joe Wright legt jetzt die bislang eigenwilligste Verfilmung des Romans von Leo Tolstoi vor.
05.12.2012
epd
Martina Knoben

Was für eine Show! Joe Wright, der mit seinen Verfilmungen von "Stolz und Vorurteil" (2005) und "Abbitte" (2007) bewiesen hat, dass er ein ausgesprochenes Talent für Literaturadaptionen besitzt, verlegt "Anna Karenina" auf die Bühne, in ein Theater, das schon bessere Tage gesehen hat und dessen Ausstattung den staubigen Charme eines Antiquitätenladens verströmt.

Es ist eine überraschende, aber überzeugende Regieentscheidung. Nicht nur, dass das Gehabe der feinen zaristischen Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts unecht und dekadent wirkt - als Schauspiel, das keine Privatsphäre zulässt. Indem Wright und sein Drehbuchautor Tom Stoppard den psychologischen Realismus der Romanvorlage beiseitelegen, lassen sie zudem keinen Zweifel daran, dass sie sich der Zitathaftigkeit dieser Verfilmung bewusst sind.

"Anna Karenina" zählt schließlich zu den Großwerken der Literatur, 'zig Bühnenfassungen und Verfilmungen des Stoffes hat es schon gegeben. Diesen Adaptionen einfach noch einen weiteren Kostümfilm hinterher zuschieben, der die Liebes- und Leidensgeschichte von Anna und ihrem Kavallerieoffizier mit viel Herzschmerz nachbuchstabiert, wäre wenig originell gewesen und auch der Vorlage nicht gerecht geworden.

Viele Adaptionen des Romans konzentrieren sich ja fast ausschließlich auf die "romantische" Liebesgeschichte von Wronski und Anna und verlieren die drei Ehen aus dem Blick, die in der Romanvorlage ebenso bedeutsam sind. Joe Wright bindet sie in sein Welttheater ein: Da ist zunächst die Ehe von Anna (Keira Knightley) und Karenin, den Jude Law herausragend, vielschichtig, nicht leicht durchschaubar und mit mönchischer Strenge spielt.

Dieser Karenin mag steif und engherzig sein - aber er ist auch verletzlich in seiner Liebe zu Anna. Außerdem die Ehe von Annas Bruder Oblonski (Matthew Macfadyen), der ein Schürzenjäger ist, mit Dolly (Kelly Macdonald); und die von Oblonskis Freund Levin (Domhnall Gleeson), der die Konventionen der Gesellschaft verachtet und auf dem Land lebt, mit Dollys reizender Schwester Kitty (Alicia Vikander). Im Roman ist die Levin-Dolly-Geschichte zentral, handelt es sich dabei doch um den positiven Gegenentwurf zur selbstzerstörerischen Liebe von Anna und Wronski.

Herzlich, charmant, rücksichtslos, grausam

Die wichtigste Frage bei einer "Anna-Karenina"-Verfilmung aber bleibt natürlich die nach der Hauptdarstellerin. Um es vorwegzunehmen: Keira Knightley, die schon bei "Stolz und Vorurteil" und "Abbitte" mitspielte, ist eine hinreißend neurotische Anna. Sie kann die Herzlichkeit, den Charme, die Eleganz und reizende Lebhaftigkeit dieser Dame der St. Petersburger Gesellschaft ebenso verkörpern wie das Düstere der Figur, Rücksichtslosigkeit, Selbstzweifel, Grausamkeit und Rachsucht.

Wenn Anna die Nase rümpft, was sie fast ein wenig zu oft tut, sieht die schöne Frau für einen Moment fast hässlich aus, erinnert der Gesichtsausdruck an die Grimasse eines Tiers. Eine Art von Gesichtsverlust liegt in dieser Marotte, die hervorragend zu Anna passt, die sich in die Ehe mit dem überkorrekten, ungeliebten Karenin gefügt hat - und plötzlich von ihrem Körper, ihren Instinkten aus dieser Umlaufbahn katapultiert wird. Glück ist das nicht.

Regie: Joe Wright. Buch: Tom Stoppard. Mit: Keira Knightley, Jude Law, Aaron Taylor-Johnson, Matthew Macfadyen, Emily Watson. Länge: 130 Minuten. FBW: besonders wertvoll. FSK: 12.