Am 3. September werden Sie 65 Jahre alt. Was bedeutet Ihnen dieser Geburtstag, der für die meisten Menschen mit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben verbunden ist?
Nikolaus Schneider: 65 Jahre - das ist schon ein Einschnitt. Mir ist klar, dass die aktive Phase meines Berufslebens in einen anderen Status eintritt. Ich werde dann nicht mehr Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland sein, aber ich scheide nicht abrupt aus dem Berufsleben, denn bis 2015 bleibe ich ja noch EKD-Ratsvorsitzender.
Und Sie ziehen von Düsseldorf nach Berlin?
Ja, ich gehe nach dem Ausscheiden als rheinischer Präses im März mit meiner Frau nach Berlin. Das ist einfach praktisch, weil ich als Ratsvorsitzender viel in Berlin zu tun habe. Und auch das EKD-Kirchenamt in Hannover ist von Berlin aus schneller zu erreichen als von Düsseldorf.
Foto: epd-bild/Norbert Neetz
Außerdem wohnt die Familie meiner ältesten Tochter mit zwei und bald drei Enkelkindern in Berlin. Ob wir allerdings nach 2015 dort bleiben oder ob es uns zurück ins Rheinland zieht - hier leben ja überwiegend unsere Freunde -, das werden wir dann sehen.
Wie werden Sie Ihren Geburtstag verbringen?
Wir feiern in Berlin in den Tag rein. Den Geburtstag selbst werde ich mit meiner Frau Anne in trauter Zweisamkeit genießen. Am Tag darauf wird dann mit den Mitarbeitern im Düsseldorfer Landeskirchenamt angestoßen, und dann gibt es am Wochenende noch eine private Feier. Ein bisschen Festspielcharakter hat das Ganze schon. (lacht)
Nach dem Rücktritt von Margot Käßmann traten Sie kurzfristig an ihre Stelle. In ihrer Lebensplanung war das Amt des EKD-Ratsvorsitzenden nicht vorgesehen. Haben Sie sich inzwischen damit angefreundet?
Ja klar! Ich habe mich darauf eingestellt, ein paar andere Ämter aufgegeben – und ich mache es gerne.
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Was unterscheidet Sie von Ihren Amtsvorgängern Wolfgang Huber und Margot Käßmann?
Das müssen andere beurteilen.
Ihre Selbsteinschätzung?
Wir wissen, dass wir alle unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Begabungen sind. Die Frage nach dem Vergleich mit meinen Vorgängern wird mir ja häufiger gestellt, aber ich beantworte sie nie.
Was mögen Sie an dem Amt an der Spitze der EKD?
Das Amt bringt spannende Themen mit sich, zum Beispiel die Vorbereitungen auf das 500. Reformationsjubiläum 2017. Und ich begegne auch sehr interessanten Menschen. Das ist schon äußerst reizvoll. Auch die Möglichkeit zu gestalten, Themen zu setzen und Dinge in Bewegung zu bringen. Da wird der Ratsvorsitzende der EKD noch einmal viel stärker öffentlich wahrgenommen als der rheinische Präses.
Was wollen Sie bis 2015 an der Spitze der EKD noch erreichen?
Das Verbindungsmodell ist mir ein großes Anliegen. Wir müssen einen Weg finden, wie die konfessionellen Bünde in der EKD - Unierte und Lutheraner - noch mehr aufeinander zugehen. Ich hoffe auch, dass wir im Streit um das kirchliche Arbeitsrecht mit den Gewerkschaften eine Lösung finden. Die derzeitige Konfrontation schmerzt mich sehr.
Und außerdem wünsche ich mir, dass die christlichen Kirchen einen Beitrag zur Überwindung der Krise in Europa leisten. Momentan wird Europa auf die Frage verengt: Wie viel gebe ich rein, wie viel bekomme ich raus? Europa ist eine Idee des friedvollen Zusammenlebens in sozialer Gerechtigkeit, die die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt. Das gilt es klarzumachen.
Stichwort soziale Gerechtigkeit, wo hapert es dort?
Es ist eine völlige Fehlentwicklung, dass das private Vermögen in Deutschland in der Summe höher ist als die öffentlichen Schulden. Wenn man dann noch bedenkt, wie stark das private Vermögen konzentriert ist, wird klar: Wir haben eine gewaltige Aufgabe.
Der Staat muss auskömmlich finanziert sein, und dazu müssen die Vermögenden ihren Beitrag leisten. Es muss Ehrensache sein, Steuern zu zahlen. Und es darf nicht das oberste Ziel sein, möglichst viel Geld am Fiskus vorbeizuschleusen. Dafür gilt es, das Bewusstsein zu wecken. Denn jeder braucht die Infrastruktur eines Staates, auch die Reichen.
Heißt das Wiedereinführung der Vermögenssteuer in Deutschland?
Die Kirche gibt keine politischen Ratschläge, Politik müssen die Parteien machen. Doch wir sagen: Bei der Verteilung des privaten Vermögens und im Verhältnis von Privatvermögen zu öffentlichen Schulden ist einiges aus dem Ruder gelaufen.
"Papst Benedikt XVI. ist nach Erfurt ins Augustinerkloster gekommen, in unsere Bildungsstätte, an den Ort, an dem Martin Luther gelebt hat. Das ist ein ganz starkes Zeichen gewesen!"
Thema Ökumene: Im September 2011, vor knapp einem Jahr, traf die Spitze der EKD Papst Benedikt XVI. in Erfurt. Nach dem allgemein als enttäuschend bewerteten Treffen sagten auch Sie "Unser Herz brennt nach mehr" und mahnten einen weiteren Dialog über die wichtigen Streitfragen zwischen Protestanten und Katholiken an. Wie bewerten Sie das Treffen von Erfurt heute?
Meine Bilanz ist zweigeteilt, aber der positive Teil überwiegt. Man muss sich immer wieder vor Augen führen: Papst Benedikt XVI. ist nach Erfurt ins Augustinerkloster gekommen, in unsere Bildungsstätte, an den Ort, an dem Martin Luther gelebt hat. Das ist ein ganz starkes Zeichen gewesen! Der Papst selbst hat diese Planung für seinen Deutschlandbesuch durchgesetzt.
Der Papst ist mir in Erfurt sehr freundlich begegnet, als Bruder auf Augenhöhe. Und auch in der nichtöffentlichen Begegnung der Delegationen hat er sich sehr positiv über Luther geäußert.
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Aber?
Im öffentlichen Gottesdienst gab es zwei Dinge, die etwas misslich waren. Anders als Benedikt XVI. es erscheinen ließ, war uns immer klar: Wir verhandeln über theologische Fragen als Kirchen nicht wie Firmen oder Staaten. Und dass der Papst in Bezug auf ein gemeinsames Abendmahl konfessionsverschiedener Ehepaare von einem fälschlicherweise erhofften "ökumenischen Gastgeschenk" gesprochen und dieses ausdrücklich abgelehnt hat, das fanden wir in der Wortwahl unglücklich.
Ist der Gesprächsfaden nach Rom jetzt abgerissen? Schreiben Sie und Benedikt sich noch?
Zwar gibt es momentan keinen Briefwechsel zwischen mir und dem Papst, aber der Kontakt nach Rom besteht natürlich fort. Sicher wird es auch wieder einmal einen direkten Austausch geben. Und gewiss begegnen wir uns auch wieder einmal.
"Der Abschied vom Rheinland fällt mir schwer. Ich habe ja nicht nur einen Job gemacht."
Mehrfach hat die EKD die Katholiken eingeladen, sich an den Feiern zum Reformationsjubiläum 2017 zu beteiligen. Wie ist der Stand der Dinge?
Die Katholiken ringen noch mit sich: Kann man den Thesenanschlag Luthers von 1517 feiern, oder kann es für sie nur ein Gedenken geben, weil die römische Kirche die Reformation vor allem mit der Spaltung der Kirche verbindet. Ich werbe sehr dafür, die Umkehr zu Christus und das Herausstellen der Heiligen Schrift als das Wesentliche der Reformation zu sehen. Das kann man feiern. Und ich denke, das müssten auch die römisch-katholischen Bischöfe mit uns feiern können.
Zurück ins Rheinland: Im März scheiden Sie nach rund einem Jahrzehnt als rheinischer Präses aus. Wie schwer fällt Ihnen das?
Der Abschied fällt mir sehr schwer. Ich bin nicht nur in der Wolle gefärbter Rheinländer, sondern auch überzeugt von unserer Kirche. Ich bin sehr gerne Präses gewesen, und in dieser Zeit sind sehr enge menschliche Beziehungen gewachsen. Ich habe ja nicht nur einen Job gemacht.
An der Spitze der Evangelischen Kirche im Rheinland standen bisher immer Männer. Ist die Zeit reif für eine Frau?
Das wäre mir zwar nicht unsympathisch, aber ich werde mich bei allen Fragen zu meiner Nachfolge zurückhalten. Die Entscheidung trifft die Landessynode im Januar.
"Wenn der Leib kleiner wird, muss der Mantel auch kleiner werden. Die Vorfälle im bbz schmerzen mich aber sehr."
Wer wird sich zur Wahl stellen?
Das wird man sehen. Aber ich bin sicher, dass der Nominierungsausschuss sehr geeignete Kandidatinnen und Kandidaten präsentieren wird.
Wer gewählt wird, steht mit der rheinischen Kirche vor drastischen Ausgabenkürzungen. Für 2014 ist eine Sparsynode geplant. Hinzu kommen die Millionenverluste durch betrügerische Geldanlagen beim kirchlichen Beihilfe- und Bezüge-Zentrum (bbz) in Bad Dürkheim. Wie ist das zu bewerkstelligen?
Wir haben keine Sparsynode wegen des bbz. Das strukturelle Problem ist die sinkende Mitgliederzahl, und das nicht, weil uns die Leute in Scharen weglaufen würden, sondern weil wir mehr beerdigen als taufen. Mit dieser demografischen Entwicklung müssen wir einfach zurechtkommen: Wenn der Leib kleiner wird, muss der Mantel auch kleiner werden. Die Vorfälle im bbz schmerzen mich aber sehr. Da hätte ich mir schon ein anderes Ende meiner Zeit als Präses gewünscht.
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Welche Überschrift würden Sie über ihre dann zehnjährige Zeit als Präses stellen?
"Auf dem Weg in die Zukunft". Wir sind momentan dabei zu klären, wie wir weiter in die Zukunft schreiten können, innerkirchlich, in der Ökumene und gesellschaftlich. Diese zwangsläufigen Übergänge müssen theologisch und intellektuell begleitet und menschlich gestaltet werden.
Wichtig aus meiner Amtszeit ist mir, dass wir im Verhältnis zu den Juden Fortschritte gemacht haben. Auch in der Beziehung zu den Muslimen gibt es Bewegung. Und wir haben als Christinnen und Christen intensiv beraten, wie wir unseren Glauben weitergeben: Christlicher Glaube ist nicht mehr selbstverständlich. Wir müssen erklären, warum der Glaube an Jesus Christus der Identität eines Menschen und dem Zusammenleben in der Gesellschaft gut tut.
Aber ich war und bleibe auch in den Fragen gesellschaftlicher Verantwortung sehr engagiert, von sozialer Gerechtigkeit bis zur Bewahrung der Schöpfung. Mir ist wichtig, dass wir als Kirche in der Mitte der Gesellschaft bleiben und uns nicht zurückziehen.