Wenn man für evangelisch.de als Redakteurin arbeitet, so kommt man nicht umhin, sich mit dem eigenen Glauben auseinanderzusetzen. In meinem Fall tue ich das sehr lebendig und mit Herzblut. Vor allem aber tue ich es immer mal wieder gerne ohne konfessionelle Brille und mit Neugierde auf alles, das mir dabei begegnet. Dass ich auf dieser Reise mit einer Gruppe Österreichern und Bayern einmal im katholischen Wallfahrtsort Medjugorje in Bosnien lande und zum ersten Mal in meinem Leben beichte, das hätte ich mir dennoch nicht träumen lassen.
Als ein Bekannter lebhaft von seinen Erfahrungen in Medjugorje schwärmte, ließ mich der Wunsch nicht mehr los, diesen Ort zu besuchen. Es ist ein Dorf in Bosnien-Herzegowina, in dem sechs Teenager im Jahr 1981 gleichzeitig die Erscheinung der Muttergottes hatten. Drei von diesen sechs sehen angeblich bis zum heutigen Tag teilweise noch täglich zur selben Stunde Maria, egal wo auf dieser Welt sie sich befinden.
Die Planung des Besuches stand, bis mir meine Cousine überraschend mitteilte, dass Sie die gleiche Reise plant, nur zwei Wochen später. Sie habe unerklärlicherweise ein Mehr-Bett-Zimmer gebucht, doch das mache ja nun Sinn. Wir hatten also eine Art himmlischer Fügung auf unserer Seite, die das Unternehmen unter einem guten Stern stehen ließ.
"Für mich als Protestantin, die kirchlich eher konventionell sozialisiert wurde, ist das eine neue Erfahrung"
Die Fahrt vom Flughafen im kroatischen Split, das sich für die Anreise via Flugzeug empfiehlt, dauert etwa zwei Stunden mit dem Auto. In Medju, wie es von vielen genannt wird, hat die Landschaft etwas vom gelobten Land. Sanfte braune Hügel und liebliche Natur breiten sich aus. Esel grasen unter Obstbäumen. Natürliche Freundlichkeit der Menschen empfängt den Gast. Eine Wohltat für einen Großstädter wie mich. In unserer einfachen Pension werden wir, wen wunderst's, freundlich von Josef empfangen, der sich die kommenden Tage aufmerksam um unser Wohl kümmern wird. Wir verlieren keine Zeit, denn wir sind nur wenige Tage hier. Sofort brechen wir zum Gottesdienst vor der St. Jakobus-Kirche im Ortskern auf. Auch zu dieser Kirche gibt es für meine protestantischen Sinne ungewohnt Mystisches zu hören: Vor den Erscheinungen, so sagt man, haben die Verantwortlichen im Ort entschieden, ein neues Gotteshaus zu bauen. Das sei jedoch wundersamerweise viel zu groß für die paar Gläubigen geraten. Doch heute ist man sich einig, dass die Kirche definitiv zu klein ist. Etwa drei Millionen Pilger besuchen den Wallfahrtsort jährlich.
Die Jakobus-Kirche ist ein würdiger Mittelpunkt im Ort. Zwei Türme zu den Seiten des Mittelschiffs ragen in den Himmel. Auf dem riesigen Platz stehen hunderte von Bänken, die jetzt vollbesetzt sind. Was mir sofort auffällt, ist die gemeinschaftliche Atmosphäre. Statt frömmelnd wirken die Gläubigen authentisch und vereint im Gesang und Gebet. Für mich als Protestantin, die kirchlich eher konventionell sozialisiert wurde, ist das eine neue Erfahrung.
Per Radio, das die deutsche Übersetzung überträgt, lausche ich der Eucharistiefeier und bin zugegebenermaßen etwas neidisch, weil die evangelische Liturgie oft so nüchtern daherkommt. Ich habe keinen Rosenkranz in der Hand, weiß nicht das richtige Wort zur richtigen Zeit zu sagen. Der Gottesdienst geht in eine abschließende Marien-Verehrung über, danach leert sich der riesige Platz in friedlicher Stimmung.
Am nächsten Morgen treffen wir unsere Gruppe von gläubigen Familien aus Bayern und Österreich, die seit Jahrzehnten jedes Jahr nach Medjugorje reisen. Am Anfang waren sie junge Singles und Paare, dann kamen die Kinder hinzu. Wir sind etwa 30 Erwachsene und mehrere Dutzend Kinder. Ein sehr bunter Haufen. Unser geistlicher Begleiter ist Pater Giorgio. Mit ihm wollen wir in Gruppen den Kreuzberg erklimmen, auf dessen Spitze sich schon lange vor den Marien-Erscheinungen ein riesiges Kreuz befindet. 1933 hatte der damalige Pfarrer von Medjugorje dieses über acht Meter hohe Kreuz aus Zement errichten lassen.
"Als wir oben am riesigen Kreuz ankommen, fühlen wir uns alle in unserer Gemeinschaft geborgen"
Auf dem Weg zum Kreuz befinden sich Stationen mit gusseisernen Tafeln, auf denen Darstellungen von Jesus zu sehen sind - von seiner Verurteilung durch Pontius Pilatus über den Tod am Kreuz bis hin zur Ruhe im Grab. Pater Georgio eröffnet uns, dass jeder von uns an einer Station performen soll: Was sehen wir auf "unserer" Tafel, was bedeutet dies in unserer Welt und wem widmen wir unsere Gebete. Ein verhaltenes Stöhnen geht durch die Reihen, wir müssen selbst aktiv werden. Im Schweigen erklimmen wir den steinigen Berg und lauschen den Ausführungen. Es wird sehr persönlich und das ungewohnte Stillsein lässt das Gehörte in der Tiefe wirken. Als wir oben am riesigen Kreuz ankommen, fühlen wir uns alle in unserer Gemeinschaft geborgen und - auch wegen der empathischen Betrachtung der Tafeln und einer körperlichen Anstrengung - Jesus verbunden.
Später am Tag berichtet uns eine Zeitzeugin, wie alles begann. Deutsche Pilgergruppen sammeln sich zu ihrem Vortrag und erfahren, wie es herging in dem kommunistischen Dorf im damaligen Jugoslawien. Religion war ein gefährliches Terrain und Christen verschwanden im Gefängnis. Die sechs Teenager waren Christen. Am 24. Juni 1981 rannten sie wie von einer inneren Stimme befohlen einen Berg in Medjugorje hinauf. Er ist felsig und unwegsam, aber sie stürzten ihn angeblich wie getragen hinauf, ohne sich zu verletzen und sahen dort um 18 Uhr eine weiße Gestalt mit einem Kind in den Armen und erkannten sie als Muttergottes. Die Zeitzeugin erzählt, das die Teenager dieses Erlebnis nicht positiv auffassten, es machte ihnen Angst. Am nächsten Tag fanden sie sich dennoch wieder dort auf dem Berg ein und sahen wieder Maria, die zu ihnen sprach. Einige von ihnen haben seitdem täglich eine Erscheinung der Gospa, wie sie auf kroatisch heißt. Im Laufe der Jahrzehnte verriet sie ihnen Geheimnisse, die sie bis heute nicht preisgeben. Aber es gibt Botschaften von oben, die die Seher in die Gemeinde weitergeben. Sie erscheint in Medjugoje als Königin des Friedens, welcher das immer wiederkehrende Anliegen in ihren Botschaften ist. Das Ganze ist auch für einen Protestanten wie mich faszinierend. Medjugorje, das hatte ich nicht erwartet, macht etwas mit mir. Der Glauben zielt direkt ins Herz.
Am nächsten Morgen darf unsere Pilgergruppe den deutschen Gottesdienst ausrichten. Unser Joker heißt Marie Benkner, eine junge katholische Influencerin, die eine wundervolle Stimme hat und alle mit ihrem Gesang mitreißt. Die Kirche bebt. Ich erlebe, wie lebendig Glaube sein kann und wie wichtig die Gemeinschaft dabei ist. Warum spüre ich dies so selten in den evangelischen Gottesdiensten, die ich besuche?
Den Rest des Tages verbringen wir an einem kleinen See, in dem mehrere Wasserfälle die Ebenen verbinden. Die Kinder springen von einem Baum in das Gewässer und lassen sich von den Strömungen treiben. Extrem entspannt kehren wir am Abend zurück zur Jakobus-Kirche. Meine Pilger-Schwestern und -Brüder wollen beichten. Unzählige Geistliche sitzen im Freien, vor jedem steht ein Schild mit der Information, in welcher Sprache die Beichte stattfindet. Ich gehe über den Platz und bin aufgeregt. Soll ich auch beichten? Es gibt auch im Protestantismus die Beichte, die Ohrenbeichte, aber ich habe sie noch nie erlebt.
"Ich fühle mich wie neugeboren. Der Weg vom Kopf ins Herz kann so kurz sein"
Überall haben sich lange Schlangen vor den Priestern gebildet. Als ich gerade umkehren will, wird der Platz neben einem Priester auf einer Bank frei - es gibt keine Schlange, es ist ein deutscher Priester. Ohne zu überlegen, setze ich mich. Er klärt mich auf, dass ich kein Sakrament bekommen werde, wohl aber einen Segen wie dies bei den Protestanten üblich ist. Als der Priester mir diesen schließlich am Ende gibt und seine Stola über meinen Kopf legt, fällt Last von mir ab. Ich fühle mich wie neugeboren. Der Weg vom Kopf ins Herz kann so kurz sein.
Der letzte Tag meines ökumenischen Abenteuers ist angebrochen, und die meisten aus der Gruppe haben sich bereits verabschiedet. Heute werde ich den Erscheinungsberg erklimmen, auf den Spuren der Teenager, die hier einst ihre erste Begegnung mit der Gospa hatten. Immer wieder wurde in den vergangenen Tagen davon gesprochen, dass auf dem Weg hinauf ein starkes Gefühl des Friedens einkehrt. Wir gehen im stillen Gebet und müssen schauen, wo wir unsere Füße hinsetzen. Der Weg ist steinig und anspruchsvoll und ich sehe einige Pilger, deren unbeschuhte Füße geschunden und blutig sind. Oben angekommen, erhebt sich die weiße Statue der Maria in den Himmel. Unzählige Rosenkränze und Blumen liegen zu ihren Füßen und auf dem Geländer um sie herum. Die vielen Pilger beten, manche weinen und der Himmel scheint hier wirklich ein bisschen näher.
Die Zeit für meine Heimkehr ist gekommen. Was meine neuen Pilgerfreunde prophezeiten, tritt tatsächlich ein. Die Tage nach der Wallfahrt sind nicht minder intensiv. Viele Eindrücke und Erfahrungen wirbeln mein Seelenleben durcheinander, bis sie sich in einer neuen Ordnung niederlassen, und ich fühle mich beschenkt.
Mein nächstes Projekt steht bereits: Im November geht es zu Mutter Theresas Missionarinnen der Nächstenliebe ins indische Kolkata (Kalkutta). Sie widmen sich den Ärmsten der Armen. Die Vorfreude steigt.