Eines Tages aber steht eine Prinzessin vor seiner Tür, die ihn aus seinem Wohlstandsschlaf weckt. Die hübsche Frau, Anna (Sandrine Bonnaire, die auch schon Monsieur Hire den Kopf verdrehte), braucht Hilfe, professionelle Hilfe; deshalb ist sie zum einem Psychotherapeuten gegangen.
Da ist sie bei William allerdings an der falschen Adresse. Der ist zwar auch Berater, jedoch in Steuerfragen; die Praxis des Psychiaters ist eine Tür weiter. Weil William sein unverhofftes Glück gar nicht fassen kann, kommt er nicht dazu, der Dame die Wahrheit zu sagen; selbst dann nicht, als sie ihn zum zweiten Mal aufsucht.
So schön es ist, zu beobachten, wie William immer mehr hin und weg ist: Alle Kraft geht in diesem Film von der Frau aus, die sein Herz erobert. Anne treibt den Mann mit vermeintlich beiläufigen Gesten immer mehr in die emotionale Enge. Anfangs ist sie ziemlich zugeknöpft, und zwar in jeder Hinsicht: Die ersten Gespräche dauern nur eine Zigarettenlänge; sie macht sich gar nicht erst die Mühe, den Mantel abzulegen, sondern zieht im Gegenteil den Schal noch enger um den Hals.
Von Mal zu Mal aber taut sie zunehmend auf und findet zu sich selbst; auch dann, als sie längst herausgefunden hat, was Williams wirkliche Profession ist. Mit immer intimeren Schilderungen lockt sie den bedächtigen Steuerberater mehr und mehr aus der Reserve. Doch als er schließlich bereit ist, sein Schneckenhaus für sie zu verlassen, verschwindet sie aus seinem Leben.
Verbeugungen vor Alfred Hitchcock
Geschickt nimmt Leconte ("Der Mann der Friseuse") die Instabilität seiner beiden Figuren in die Bildsprache auf. Zu Beginn des Films ist die Kamera fahrig und nervös; ständig schaut sie sich suchend umher und hebt Details der Einrichtung in Williams Praxis hervor, die auf den ersten Blick nicht zu erkennen sind; Steuerberater sind schließlich Experten für das Darlegen und Verbergen.
Auch die Farbgebung ändert sich im Verlauf der Geschichte: Der Film wird bunter, lebhafter, wärmer. Am Ende, als der korrekte William sein Heim endgültig und für immer Richtung Süden verlassen hat, um sich auf die Suche nach Anna zu machen, trägt er nicht mal mehr Krawatte.
Da "Intime Fremde" über weite Strecken ein Kammerspiel ist, steht und fällt die Qualität des Films zwangsläufig mit den Darstellern. Überraschender und imponierender noch als die Leistung Sandrine Bonnaires ist Fabrice Luchini, denn der ist eigentlich vorzugsweise Komödiant. Leconte aber legt seine mitunter durchaus melodramatische Romanze als emotionalen Thriller an. Der lange Flur vor der Praxis, die Blicke in die Wohnungen gegenüber, die lauernde, an "Basic Instinct" (Jerry Goldsmith) erinnernde Musik: Die Verbeugungen vor Alfred Hitchcock sind nicht zu übersehen.