Die europäischen Medien sind sich einig: An dem Blutbad im Kino von Aurora (Colorado) sind vor allem die laxen Schusswaffengesetze in den USA schuld. Laut Schätzungen gibt es 200 bis 300 Millionen Waffen in den Vereinigten Staaten in privaten Haushalten. Der Todesschütze bei der Mitternachtspremiere des "Batman"-Filmes "The Dark Knight Rises" soll 6.000 Schuss Munition im Internet gekauft haben - legal.
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Die amerikanische Wirklichkeit unterscheidet sich bei diesem Thema deutlich von der europäischen. Schärfere Gesetze zum Kauf von Schusswaffen stehen in den USA kaum zur Debatte. Präsident Barack Obama sei vielmehr der Ansicht, man müsse die im zweiten Verfassungszusatz garantierten Schusswaffenrechte schützen, sagte Pressesprecher Jay Carney kurz nach dem Massaker. Obama erntete Lob vom Republikaner John Boehner, dem Sprecher des Repräsentantenhauses: Die Tat eines Verrückten rechtfertige keine neuen Gesetze.
Das "Second Amendment" ist die 1791 in die US-Verfassung hineingeschriebene Klausel, die nach heutiger Auffassung maßgebender Politiker und Juristen das fast uneingeschränkte Recht gewährt, Schusswaffen zu besitzen. Im Wortlaut: "Da eine wohlorganisierte Miliz für die Sicherheit eines freien Staates notwendig ist, darf das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, nicht beeinträchtigt werden."
Obama: Waffenverkauf strenger kontrollieren
Doch jetzt äußerte sich Obama ungewohnt kritisch. Der Verkauf von Waffen müsse strenger kontrolliert werden, vor allem dürften psychisch labile Menschen keine Gewehre erhalten, unterstrich er am Mittwochabend in New Orleans. Dies sollte der "gesunde Menschenverstand" gebieten. Selbst Waffenbesitzer würden zudem zustimmen, dass ein Sturmgewehr "in die Hand von Soldaten, nicht in die von Kriminellen gehört", fügte Obama laut einem Bericht des Senders CNN hinzu.
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Auch einer seiner Vorgänger, der Republikaner Ronald Reagan, hatte sich als Gouverneur von Kalifornien Ende der 60er Jahre ähnlich geäußert: Es gebe "keinen Grund, auf der Straße geladene Waffen zu tragen". Dagegen ist der heutige Absolutismus von Schusswaffenverbänden wie der National Rifle Association (NRA) ein relativ modernes Phänomen. Die nationale Lobby-Organisation macht sich selbst für legales Tragen von Schusswaffen in Kneipen stark und kämpft gegen Vorschriften, den Kauf auf zehn Schusswaffen im Monat zu begrenzen.
Aber selbst der 1871 gegründete Nationale Waffenverband NRA sei über die Jahrzehnte mehrmals für eine Schusswaffenkontrolle eingetreten, dokumentierte der Autor Adam Winkler in seinem Aufsatz "Die geheime Geschichte der Schusswaffen". Noch 1934 begrüßte die National Rifle Association ein "striktes Genehmigungsverfahren" für Schusswaffen. In den 60er Jahren, nach den Morden an Präsident John F. Kennedy und Bürgerrechtsführer Martin Luther King sowie den Rassenunruhen in zahlreichen Innenstädten, sprach sich die NRA für ein Gesetz aus, Bürgern mit krimineller Vergangenheit den Waffenbesitz zu verweigern.
Kirchenrätin: Frieden in der Gesellschaft fördern
Noch 2004 hat der heutige republikanische Präsidentschaftsanwärter Mitt Romney, damals Gouverneur von Massachusetts, den Verkauf halbautomatischer Gewehre ("assault weapons"), wie das in Aurora verwendete Sturmgewehr eine war, in seinem Staat verboten. Niemand brauche ein "Sturmgewehr im persönlichen Arsenal", sagte er. Heute liegt Romney voll auf Kurs der National Rifle Association. Die USA brauchten keine neuen Schusswaffengesetze, steht auf Romneys Webseite. Schusswaffen garantierten die Freiheit des Bürgers, argumentiert die drei bis vier Millionen Mitglieder zählende NRA.
Die Kirchen haben es nicht leicht bei der Debatte. Die Präsidentin des ökumenischen Nationalen Kirchenrates, Kathryn Mary Lohre, forderte neue Gesetze, um "den Frieden in der Gesellschaft zu fördern". Der Rat hat sich 2010 für zusätzliche Schusswaffenkontrollgesetze ausgesprochen. Der konservative Verband American Family Association machte das Internet, Hollywood und die angebliche Abkehr vieler Kirchen von der biblischen Botschaft für die Bluttat verantwortlich.
Die Bevölkerung in den USA reagierte direkt auf die Tragödie in Aurora: In den Tagen nach dem Massaker kamen aus Colorado 43 Prozent mehr Anfragen nach Überprüfungen zum Waffenkauf ans FBI als in der Vorwoche. Auch in anderen Staaten stieg die Nachfrage im Anschluss an das Aurora-Massaker. Die meistens elektronisch abgewickelte Prüfung ist in den USA notwendig, um eine Waffe zu kaufen.