Der Überlieferung nach war es ein Kaufmann aus Torgau, Leonard Köppe, der am Karfreitag des Jahres 1523 die damals 24-jährige Nonne Katharina von Bora und elf weitere Ordensschwestern aus dem Zisterzienserinnenkloster Marienthron in Nimbschen "entführte" und neun von ihnen, in Holzfässern versteckt, zunächst nach Torgau brachte. Hier residierte zur Zeit der Ankunft Katharinas Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen, Luthers großer Schutzherr. Katharina wurde weiter nach Wittenberg gebracht, wo sie im Haus des Malers Lucas Cranach aufgenommen wurde und wo sie ihren späteren Mann Martin Luther kennenlernte.
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Während Wittenberg das geistige Zentrum der lutherischen Reformation war, könne man das rund 45 Kilometer entfernte Torgau als deren politisches Zentrum bezeichnen, erklärt Jürgen Herzog, der Vorsitzende des Torgauer Geschichtsvereins. Kurfürst Friedrich der Weise und seine beiden Nachfolger unterstützten die reformatorische Bewegung und schützten Luther - auch gegenüber dem katholischen Kaiser Karl V.. Die Reformatoren trafen sich hier, um die so genannten "Torgauer Artikel" zu verfassen, die zur Grundlage der Augsburger Konfession von 1530 wurden, dem zentralen Bekenntnistext der lutherischen Reformation.
Schließlich ist Torgau der Ort, in dem die erste evangelische Kirche - die Schlosskirche - gebaut wurde. Bauherr war Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige, ein frommer Lutheraner. Das Besondere an diesem Kirchenbau ist die mittig angebrachte erhöhte Kanzel - als Symbol dafür, dass das gepredigte Wort Gottes im Mittelpunkt des Gottesdienstes steht. 1544 hielt Luther hier seine berühmte Torgauer Kirchweihpredigt, in der er auf die Kommunikation im Gottesdienst einging: In der Predigt rede nicht nur Gott durch sein Wort zu den Menschen, sondern umgekehrt antworteten auch die Menschen Gott durch "Gebet und Lobgesang". Der Gottesdienst besteht nach Luther aus Reden und Hören, Wort und Antwort - und wird durch dieses Geschehen zu einem öffentlichen Bekenntnis der gesamten Gemeinde.
Hauswirtschafterin, Fischzüchterin, Bierbrauerin
Als Luther seine berühmte Torgauer Kirchweihpredigt hielt, hatten er und Katharina 19 Ehejahre in Wittenberg bereits hinter sich. Im Jahr 1525 hatten der ehemalige Mönch und die frühere Nonne geheiratet. Die Luthers bekamen sechs Kinder, von denen zwei im Kindes- und Jugendalter starben. Katharina versorgte neben den eigenen auch weitere Kinder aus der Verwandtschaft und etliche Studenten. Daneben bewirtete sie in ihrem Wohnsitz, dem ehemaligen Schwarzen Kloster in Wittenberg, die zahlreichen Gäste ihres Mannes. Sie führte einen großen Haushalt, betrieb Landwirtschaft, lernte kalkulieren, braute Bier, hielt Haustiere und züchtete sogar Fische.
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Daneben machte Katharina sich einen Namen durch die Herstellung von Arzneien und Krankenpflege. Der Reformator nannte seine Frau nicht nur liebevoll "mein Morgenstern zu Wittenberg", sondern bisweilen auch "Herr Käthe"- ein Spitzname, der in Bezug auf ihren großen Arbeitseifer und ihre Durchsetzungskraft durchaus anerkennend gemeint war.
Die arbeitsreiche gemeinsame Zeit in Wittenberg endete mit Martin Luthers Tod im Jahr 1546. Katharina blieb zunächst im Schwarzen Kloster und floh 1552 wider Willen vor einem erneuten Ausbruch der Pest nach Torgau. Auf dem Weg dorthin scheuten die Pferde, Katharina sprang vom Wagen und verletzte sich so schwer, dass sie einige Monate später in Torgau an den Folgen der Verletzung starb - vermutlich hatte sie sich das Becken oder einen Oberschenkelhals gebrochen. Die Stadt bewahrt der Katharina Luther bis heute ein bleibendes Andenken mit einem kleinen Museum in ihrem Sterbehaus.
"Seid allezeit bereit zur Verantwortung"
Um die Erinnerung fortleben zu lassen, zeichnet die Stadt Torgau in diesem Jahr zum zweiten Mal eine "Katharina-Botschafterin" aus. Der mit 3000 Euro dotierte Preis wird an eine Frau verliehen, die ebenso couragiert ihren Weg geht und sich tätig für ihre Mitmenschen einsetzt wie damals Katharina von Bora. Die Bindung an den reformatorischen Glauben spielt dabei heute allerdings keine Rolle mehr, sagt Pia Schillberg, Projektleiterin für den Katharinatag in Torgau - den Preis kann jede Frau unabhängig von ihrem Glauben erhalten.
Aktuelle Katharina-Botschafterin ist Edith Koch, die sich in der Frauenhilfe und der Katharina-von-Bora-Stiftung im hessischen Dutenhofen engagiert. Für den Preis im Jahr 2012 wurden fünf Frauen vorgeschlagen: Regine Bouédibela-Barro aus Berlin setzt sich gegen Genitalverstümmelung in Burkina Faso ein, Barbara Hirsch aus Pirna bietet theaterpädagogische Projekte an, Helga Marion Hoyme aus Erfurt hat einen Großelterndienst aufgezogen, Eva-Maria Reitz aus Görlitz betreibt Sozialarbeit unter Frauen an der deutsch-polnischen Grenze und Cathrin Schauer engagiert sich gegen sexuelle Ausbeutung von Frauen aus Teschechien.
Der Preis wird am 30. Juni in Torgau verliehen. Dazu gibt es an dem gesamten Wochenende Vorführungen, Lesungen, Vorträge und Konzerte in der Stadt. Im Festgottesdienst am Sonntag, dem 1. Juli, predigt Reformations-Botschafterin Margot Käßmann. Aus dem vorgeschlagenen Predigttext für diesen Sonntag bietet sich ihr ein Vers an, der quasi als Überschrift über dem Leben des Ehepaares Luther hätte stehen können: "Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist." (1. Petrusbrief 3, 15b). Margot Käßmann hält ihre Predigt in der Marienkirche zu Torgau - über dem Grab der Katharina von Bora.