Deutschland gegen Griechenland: "Jede andere Kombination gewünscht"

Foto: dpa/Jan Woitas
Hoffentlich wird es ein faires Spiel - das EM-Viertelfinale Deutschland gegen Griechenland. Außerhalb des Spielfeldes fühlen sich Griechen seit der Eurokrise von Deutschen dumm angemacht. (Das Foto zeigt eine Szene aus dem U-21 Länderspiel Deutschland - Griechenland am 29. Februar 2012 in Halle).
Deutschland gegen Griechenland: "Jede andere Kombination gewünscht"
"Die Stimmung in diesem Lande ist katastrophal", sagt ein Einwanderer in Duisburg
Sie sind vorsichtig geworden - und hätten auf dieses Viertelfinale bei der EM lieber verzichtet. Griechen leiden in Deutschland unter Lästerein und verbalen Attacken wegen der Eurokrise. Deutsche in Griechenland fürchten, dass am Freitagabend der Zorn der verletzten Volksseele über sie hereinbricht.
22.06.2012
evangelisch.de

"Man hätte sich jede andere Kombination gewünscht außer Griechenland gegen Deutschland", stöhnt René Lammer, Pfarrer der Evangelischen Kirche Deutscher Sprache in Athen. Sie hatten in der Gemeinde überlegt, am Freitagabend im Garten der Kirche Fußball zu gucken, die Idee aber schnell wieder verworfen. "Ein richtiges Public Viewing würde ich mich jetzt nicht trauen zu machen", sagt Lammer. "Die Nerven liegen bei vielen blank, man muss vorsichtig sein." Ein Drittel der Griechen, so schätzt der evangelische Pfarrer, ist nicht mehr deutschfreundlich, und er kann es angesichts der Diskussionen um Sparauflagen für Griechenland sogar verstehen.

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"Das stolze griechische Volk fühlt sich durch die deutsche Politik gedemütigt. Wenn solche Sprüche kommen wie 'Die Griechen müssen jetzt aber wirklich sparen, und: wir wollen ja helfen, aber sie müssen sich auch helfen lassen wollen', dann kocht hier die Volksseele hoch. Die Leute sparen doch schon. Was wollen sie dann noch sparen?" Jeder fünfte Grieche ist arbeitslos, unter Jugendlichen jeder zweite, Gehälter und Renten sinken. Armut und Perspektivlosigkeit verstärken die Wut. Und nun - in dieser Stimmung - ein Fußballspiel Deutschland gegen Griechenland. "Ich hab gemischte Gefühle", sagt Pfarrer Lammer. "Wenn da gerempelt oder ein Strafstoß nicht gegeben oder ein Foul übersehen wird, dann gehen die Emotionen unkontrolliert nach oben."

Auf keinen Fall, so hofft Lammer, dürfe es eine "demütigende Niederlage" geben, "sechs zu null oder so, dann weiß ich nicht, was hier mit der Volksseele passiert. Es kann die latente Depression weiter verstärken oder auch in Aggressivität umschlagen." Dass Deutschland gewinnt, scheint für alle klar zu sein. Auf den anderen Fall sei man in Griechenland kaum vorbereitet, "das wäre der größte aller möglichen Triumphe", meint der Pfarrer. "Die Griechen würden mit stolz geschwellter Brust die ganze Nacht hupend durch die Gegend fahren. Die Haltung ist: Wir können, wenn wir wollen!"

"Ich verlange als Europäer nur ein bisschen Respekt"

"Wir sind ein stolzes Volk", das sagt auch ein griechischer Einwanderer in Duisburg, "Trotz der Krise sind wir stolze Griechen. Stolz auf unsere Kultur und Demokratie." Er will nicht, dass sein Name in einem Artikel steht - aus Angst. Public Viewing mit griechischen und deutschen Freunden in Duisburg? Das hält der Einwanderer für gar keine gute Idee. "Die Stimmung in diesem Lande ist so katastrophal, dass wir null Interesse haben öffentlich Fußball zu gucken," sagt der Duisburger, und seine Stimme klingt verletzt und enttäuscht.

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Neulich hat er mit Freunden ein EM-Spiel angeschaut und dabei "eine winzige Flagge" ins Fenster gestellt. "Die Leute, die zufällig vorbei gingen, die haben uns angegriffen: 'Ihr Griechen seid pleite und lebt auf unsere Kosten.' Die Leute haben keine Ahnung, wovon sie reden!" Er regt sich immer mehr auf: "Es gibt in diesem Land eine Arroganz, einen Hass, das ist Volksverhetzung der Güteklasse A. Ich weiß nicht, wohin das führt…" Und dann eine Bitte um etwas eigentlich Selbstverständliches: "Ich verlange als Europäer nur ein bisschen Respekt gegenüber anderen Leuten, denen es nicht so gut geht."

Das Viertelfinalspiel am Freitag wird der Duisburger nicht in Deutschland anschauen. Seine Tochter hatte darum gebeten, mit der Familie ins Ausland zu fahren, um sich "tolle Sprüche" zu ersparen. Nun fahren sie nach Polen. "Ich will dabei sein und die Jungs unterstützen," sagt der Vater, auch wenn er nicht mit einem Sieg der griechischen Mannschaft rechnet. "Wir sind Außenseiter. Die EM kann nicht ohne Deutschland weiter gehen. "Wie geht es ihm, wenn Griechenland verliert? "Kein Problem – wir leben weiter." Vielleicht sogar mit etwas mehr Ruhe als vor dem Spiel.

Griechen und Deutsche sind eigentlich Freunde

Es scheint, als habe die Finanzkrise ein lange gewachsenes, gutes Verhältnis zwischen Deutschen und Griechen gravierend gestört. Als habe man alles vergessen, was an engen und freundschaftlichen Beziehungen in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen ist. In den 1820er Jahren hatten europäische Großmächte die griechische Revolution gegen das Osmanische Reich unterstützt, 1832 wurde der Wittelsbacher Prinz Otto von Bayern zum König von Griechenland bestimmt. Er holte deutsche Wissenschaftler, Verwaltungsfachleute und Handwerker ins Land.

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Ottos Ehefrau, die oldenburgische Prinzessin Amalie, war evangelisch und brachte 1837 ihren Prediger mit nach Athen – so entstand die deutsche evangelische Gemeinde in der griechischen Hauptstadt. Sie hat heute ca. 500 Mitglieder. Insgesamt lebten bei der letzten Volkszählung im Jahr 2001 rund 11.900 deutsche Staatsbürger in Griechenland. Sie treffen in ihrer Wahlheimat sogar auf etliche deutsch sprechende Griechen, denn jeder zehnte von ihnen hat einen Teil seines Lebens in Deutschland verbracht. Die meisten kamen in den sechziger Jahren, als Deutschland Arbeitskräfte anwarb. Einige studierten in Deutschland oder machten eine Berufsausbildung, um dann in ihre Heimat zurückzukehren. Doch viele blieben auch in Deutschland: Heute leben hier laut dem Statistischen Bundesamt knapp 284.000 Griechen.

"Fußballspiel ist Entertainment, die Leute haben Spaß"

Argyrios Chliapas ist einer von ihnen. Er betreibt das Café "MC²" in Frankfurt am Main und ist Vorsitzender der Griechischen Sportunion in der Stadt. Natürlich interessiert sich Chliapas für Fußball: Alle EM-Spiele werden auf der Terrasse seines Restaurants übertragen, auch das Viertelfinalspiel Deutschland gegen Griechenland am Freitag. Der Gastwirt sieht die Sache sportlich und macht sich keine Sorgen, dass die Stimmung aggressiv werden könnte. "Wir kennen die Gäste", sagt er. "Bisher gab es keine Probleme, also betrachten wir das entspannt."

Die Gäste, so schätzt Chliapas, werden am Freitagabend zu 30 Prozent Griechen und zu 70 Prozent Deutsche sein. "Die Griechen hoffen, dass sie das Spiel für sich entscheiden können, aber sie erwarten das nicht. Wenn Deutschland gewinnen würde, wäre das Normale eingetreten." Vor dem Spiel nimmt er sogar ein bisschen Euphorie unter den Griechen wahr, denn mit dem Einzug ins Viertelfinale hatten sie nicht gerechnet. "Ich freue mich für beide Länder, ein bisschen mehr aber für Griechenland", sagt Chliapas. Sein Sohn ist hier geboren und hält eher zu Deutschland. So kann es also auch gehen: Entspannte Fans auf beiden Seiten, keine Hasstiraden - Menschen aus beiden Ländern feiern mit einer deutsch-griechischen Familie in Frankfurt. "Fußballspiel ist Entertainment, die Leute haben in erster Linie Spaß. Das ist was Positives", meint der griechische Gastwirt.