Sexuelle Gewalt im Netz - Suche nach Antworten auf "Massenphänomen"

Sexuelle Gewalt im Netz - Suche nach Antworten auf "Massenphänomen"
Ob unverlangt zugesandte Nacktfotos oder Anbahnung von Missbrauch: Sexualisierte Gewalt im Internet ist keine Randerscheinung, wie Fachleute auf einer Tagung in Berlin betonen. Sie fordern einen breiten gesellschaftlichen Einsatz gegen das Phänomen.

Berlin (epd). Fachleute beklagen einen Mangel an Wissen und Aufmerksamkeit für das Thema sexualisierte Gewalt im digitalen Raum. „In der breiten Öffentlichkeit muss das Bewusstsein für die Problematik geschärft werden“, sagte der Direktor der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz, Sebastian Gutknecht, am Montag auf einer Fachtagung in Berlin. Die unabhängige Missbrauchsbeauftragte Kerstin Claus sieht hier auch die künftige Bundesregierung in der Pflicht.

Gutknecht hob hervor, dass junge Menschen das Recht auf „Befähigung und eine sichere digitale Teilhabe“ hätten. Dazu bräuchten sie „kompetente Ansprechpersonen“. Es fehle aber „an vielen Stellen noch an Wissen über Phänomene, Risiken und Handlungsstrategien im Umgang mit Gefährdungen im digitalen Raum“, beklagte Gutknecht. Deswegen seien „die Sensibilisierung und Aufklärung der Erwachsenenwelt“ so wichtig.

Als ein Beispiel nannte Gutknecht Berichte von Jugendlichen bei Veranstaltungen der Bundeszentrale, wonach es heutzutage „normal“ sei, zum Versand von Nacktfotos aufgefordert zu werden oder ungefragt Bilder von Geschlechtsorganen zugeschickt zu bekommen. „So etwas müssen Eltern wissen, um mit ihren Kindern darüber zu sprechen“, forderte Gutknecht. Auch Fachkräfte etwa in Schulen stünden in der Verantwortung, „Kinder und Jugendliche in ihrer Mediennutzung zu begleiten“.

Die Missbrauchsbeauftragte Claus sagte ebenfalls, sie halte eine „flächendeckende Schulung von Lehrkräften“ und die gezielte Information von Eltern für nötig. Sie warnte davor, das Ausmaß von digitaler sexueller Gewalt zu unterschätzen: „Wir können und müssen mittlerweile von einem Massenphänomen sprechen.“

Um dies zu bekämpfen, sei auch ein klarer Regelungsrahmen nötig, sagte Claus. Dies betreffe insbesondere Verpflichtungen für Online-Anbieter, damit sie Vorsorgemaßnahmen ergreifen und aktiv nach Missbrauchsdarstellungen suchen und diese melden.

Claus berichtete, sie habe ihre Vorstellungen in die laufenden Koalitionsverhandlungen von CSU, CSU und SPD eingebracht. Dabei habe sie sich für die Ausarbeitung einer nationalen, ressortübergreifenden Grundsatzstrategie für den Kampf gegen digitale sexualisierte Gewalt ausgesprochen.

Die Vorsitzende der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, Julia Gebrande, sagte auf der Tagung, Informations- und Kommunikationstechnologie würden genutzt zur „Anbahnung, Verübung, aber eben auch zur Aufrechterhaltung sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“. Es sei „absolut notwendig“, sich diesem Phänomen intensiver zuzuwenden.

Angela Marquardt vom Betroffenenbeirat bei der Missbrauchsbeauftragten warnte vor einer Verteufelung des Internets und wies Bestrebungen zurück, Kinder und Jugendliche davon fernzuhalten. Das Netz und die entsprechenden Endgeräte seien notwendig für die Teilhabe junger Menschen, sagte sie. Deshalb gehe es vor allem um einen kompetenten Umgang - hier seien Kinder und Jugendliche oft weiter als die Erwachsenen, beklagte Marquardt.

Die Fachtagung in Berlin brachte Fachleute von Hilfsorganisationen, staatlichen Stellen und Forschungseinrichtungen zusammen. Ausrichter war das Bündnis gegen sexuelle Gewalt im Netz, das vom Amt der Missbrauchsbeauftragten und von der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz koordiniert wird.