Überraschung und Empörung über Ende von Missbrauchsfonds

Überraschung und Empörung über Ende von Missbrauchsfonds
Stillschweigend ist im Bundesfamilienministerium die Entscheidung gefallen, den Fonds für Betroffene sexueller Gewalt einzustellen. Wichtige Hilfen drohen damit wegzubrechen. Betroffene, Beauftragte und Politiker reagieren empört über das Vorgehen.

Berlin (epd). Für Betroffene kam die Entscheidung überraschend, selbst die Missbrauchsbeauftragte wusste nicht Bescheid: Die vom Bundesfamilienministerium beschlossene Befristung des Missbrauchsfonds ist auf Empörung gestoßen. Das sei faktisch das Ende des Fonds, der eine der wesentlichen Errungenschaften für Betroffene sexueller Gewalt sei, sagte die unabhängige Missbrauchsbeauftragte Kerstin Claus am Freitag in Berlin. Sie und andere kritisierten nicht nur die Entscheidung an sich, sondern auch den Umgang: Das drohende Ende der Hilfen wurde in dieser Woche nur auf der Internetseite des Fonds veröffentlicht.

Am Mittwoch sei dort bekannt gegeben worden, dass Antragstellungen nur noch bis 31. August 2025 und Auszahlungen bis Ende 2028 möglich sind, sagte Claus am Freitag in Berlin. Bei dem Fonds können Betroffene seit 2013 Hilfen beantragen, die über Leistungen der Kranken- oder Pflegekassen oder andere Unterstützungen hinausgehen. Im Einzelfall gibt es Hilfen in Höhe von bis zu 10.000 Euro, für Betroffene mit Behinderung bis zu 15.000 Euro.

In der vergangenen Woche hatte es bereits einen Aufschrei von Betroffenen gegeben, nachdem bekannt wurde, dass der Fonds seit Jahresbeginn kein Geld mehr vorstreckt. Betroffene müssen nun in Vorleistung gehen. Hintergrund der für Betroffene überraschenden Änderungen ist das Ergebnis einer Prüfung des Bundesrechnungshofs, der im April vergangenen Jahres gerügt hatte, dass der Fonds nicht haushaltsrechtskonform sei.

Bis heute sei nicht darüber nachgedacht worden, wie es weitergehen soll, kritisierte Claus und adressierte dabei explizit Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne). Sie selbst sei schrittweise in den vergangenen zwei Wochen über die Änderungen beim Fonds, erst in dieser Woche über das mutmaßliche Aus informiert worden, sagte Claus, deren Stelle im Bundesfamilienministerium angesiedelt ist. Sie warf der Bundesregierung vor, sich „geräuschlos“ aus der Verantwortung stehlen zu wollen und forderte von der künftigen Regierung ein niedrigschwelliges und rechtskonformes Nachfolgemodell. „Ich erwarte eine politische Lösung“, sagte Claus.

Nach Auskunft des zuständigen Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben haben durch den Fonds seit 2013 rund 27.500 Menschen Hilfe erhalten. Für Hilfen wurden demnach bis Ende 2024 156,3 Millionen Euro abgerufen. Im vergangenen Jahr wurden rund 5.900 Anträge gestellt.

Der SPD-Politiker Lars Castellucci sagte, „es ist ein Skandal, dass der für Betroffene von sexualisierter Gewalt so wichtige Fonds Sexueller Missbrauch nun schlagartig und ohne einen Ersatz auslaufen soll“. Er schlug vor, den Fonds mittelfristig in einer neuen Stiftung weiterzuführen.

Die Grünen-Abgeordnete Denise Loop nahm die Parteikollegin Paus dagegen in Schutz und sprach von einem „Geburtsfehler“ des Fonds, der aus der Zeit der damaligen schwarz-roten Koalition stamme. Dass der Fonds jetzt enden müsse, weil die damals bestimmte Bewilligungspraxis nicht haushaltsrechtskonform sei, „ist tragisch“, sagte die Familienpolitikerin.

Das Familienministerium rechtfertigte die Entscheidung mit Verweis auf die Prüfung des Bundesrechnungshofs. In der Ampel-Koalition habe es keine Einigung darüber gegeben, wie das Hilfesystem neu aufgestellt werden kann, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Das sei nun eine Aufgabe für eine neue Bundesregierung.

Auch Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und Diakonie bedauerten die Ministeriumsentscheidung. Der Fonds und das sogenannte Ergänzende Hilfesystem seien „zentrale Bausteine einer staatlichen Verantwortung für Betroffene sexualisierter Gewalt in unserer Gesellschaft“, hieß es jeweils auf Anfrage. Beide Institutionen beteiligen sich an dem Hilfesystem, von dem der Fonds ein wesentlicher Teil ist. Zum Jahresbeginn 2024 habe man sogar eine unbefristete Beteiligung an diesem Hilfesystem beschlossen, hieß es von EKD und Diakonie.