Bonn, Düsseldorf (epd). Der rheinische Präses Thorsten Latzel hat die Parteien aufgefordert, auch im Bundestagswahlkampf den demokratischen Anstand zu pflegen. „Man kann hart in der Sache miteinander ringen und sich dennoch gemeinsam an ethische Grundsätze halten und sich gemeinsam verantwortlich wissen für etwas Höheres“, sagte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es gehe darum, eine „Diskursivität der Feindesliebe zu praktizieren“: Der andere Mensch sei aus christlicher Sicht „immer mehr als ein politisches Gegenüber“.
Latzel nannte es problematisch, dass es nach der gemeinsamen Abstimmung von Union, FDP und AfD zum Thema Migration im Bundestag zwischen den demokratischen Parteien eine Spannung gebe, die über den konstruktiven Meinungsstreit hinausgehe. „Sucht nach Kompromissen und Koalitionen, kümmert euch um Lösungen für unsere Gesellschaft“, sagte der 54-jährige Theologe. „Stärkt das, was die Gesellschaft und die Demokratie brauchen, auch über den Wahlkampf hinaus. Setzt nicht auf Themen, die populistische und extremistische Parteien hochziehen wollen.“
Asyl sei kein Thema für den Wahlkampf, betonte Latzel, der seit vier Jahren an der Spitze der zweitgrößten deutschen Landeskirche mit 2,1 Millionen Mitgliedern steht. Stattdessen sollte es um Themen gehen, die die Menschen in ihrem Alltag umtreiben: „die Sorge um Arbeitsplätze, die soziale Sicherung und eine Stärkung der Wirtschaft, nicht funktionierende Infrastruktur, Kita-Plätze und gute Bildungsangebote für alle, den Klimawandel mit seinen massiven Folgen“. Auch die Gewalt vor allem von Rechtsextremen gegen Lokalpolitiker, Medienleute und Andersdenkende gehöre dazu.
Dass der Wahlkampf von einer Debatte über Grenzschließungen und Abschiebungen geprägt wird, führt Latzel auch auf den Einfluss sozialer Medien zurück, „deren Algorithmen wie Eskalationsmaschinen wirken“. Extreme Positionen bekämen dabei mehr Gewicht, als sie eigentlich hätten. „Und es kommt zu Blasenbildungen und Fake News, die eine offene Gesellschaft gefährden.“
Viel zu wenig werde dagegen über die Erfolge der Integration gesprochen, beklagt der rheinische Präses. „Unser Land kann stolz darauf sein, was wir trotz aller Probleme an Integrationsleistung hinbekommen haben“, betonte er. „Wir haben mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine bei uns aufgenommen.“ Natürlich gebe es auch Ängste vor Überfremdung. „Das Beste dagegen ist Begegnung“, sagte der Theologe. „Sie lässt einen erkennen: Der andere ist ein Mensch wie ich.“