Hanau (epd). Der Anschlag vom 19. Februar 2020 in Hanau hat nach den Worten von Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) das Sicherheitsempfinden in der Stadt verändert. „Wenn heute ein Hubschrauber über die Stadt fliegt, fragen Bürgerinnen und Bürger innerhalb von Minuten: 'Was ist los?'“, sagte Kaminsky im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die gesellschaftliche Situation sei in den vergangenen fünf Jahren schwieriger geworden: „Der Anschlag in Aschaffenburg am 22. Januar steckt mir in den Knochen, ich bin fassungslos“, sagte Kaminsky.
Bei dem Anschlag in Hanau vor fünf Jahren hatte ein 43-jähriger Deutscher neun Menschen mit Einwanderungsgeschichte getötet und sechs weitere verletzt. Anschließend tötete er sich selbst und seine Mutter.
Hanau sorge seither für mehr Polizeipräsenz und das Konzept „Schutzmann vor Ort“, sagte der Oberbürgermeister. Bei großen öffentlichen Veranstaltungen wie dem Weihnachtsmarkt oder dem Bürgerfest würden zusätzlich private Sicherheitsleute eingesetzt. Daneben stellten sich die Stadtpolitik und -verwaltung bei einer Einwohnerschaft aus 140 Nationen die Frage: „Wie halten wir die Stadtgesellschaft zusammen?“
Die Stadt fördere Projekte der Jugendarbeit und die 2020 gegründete Bildungsinitiative Ferhat Unvar, sie unterstütze die Fachstelle für Demokratieförderung und Extremismusprävention und errichte bis nächstes Jahr ein „Haus für Demokratie und Vielfalt“. „Wir brauchen auf allen Ebenen mehr Bildung“, betonte Kaminsky.
Der Oberbürgermeister resümierte: „Was im demokratischen Rechtsstaat an Aufklärung möglich ist, ist geschehen. Lückenlos war es nicht.“ Es gebe noch offene und nicht befriedigend beantwortete Fragen. Seine Forderung nach einem Rücktritt des damaligen hessischen Innenministers Peter Beuth (CDU) wegen dessen einjährigen Schweigens über den fehlerhaften örtlichen Polizeinotruf sei mit Beuths Ausscheiden aus der Politik erledigt. „Hinter uns liegen keine guten fünf Jahre“, resümierte Kaminsky. Es habe weitere Opfer durch Terror gegeben, und die Polarisierung der Gesellschaft habe zugenommen.
Mit dieser Entwicklung möchte Kaminsky sich nicht abfinden: „Ich glaube, wir müssen uns als Gesellschaft nur an dem orientieren, was uns das Grundgesetz mit der Würde des Menschen sagt, was uns die Bibel oder der Koran in Sachen Nächstenliebe vermitteln.“ Es komme darauf an, dass „wir in der Gesellschaft in Toleranz und Respekt mit unserem Nächsten umgehen und nicht denen auf den Leim gehen, die Menschen gegeneinander aufbringen wollen“, sagte er.
Wenn die Gesellschaft es nicht schaffe, „in respektvollem Miteinander zu versuchen, die Zukunft zu entwickeln“, dann werde der Anschlag in Hanau kein Einzelfall bleiben, warnte Kaminsky.