"Die Kraft der Hoffnung nicht aufgeben"

Anselm Grün und Günter Hänsel
Julia Martin / Abtei Münsterschwarzach
Der Psalm 23 ist für Anselm Grün (rechts) und Günter Hänsel ein Hoffnungspsalm.
In krisengeschüttelten Zeiten
"Die Kraft der Hoffnung nicht aufgeben"
Anselm Grün, Benediktinermönch der Abtei Münsterschwarzach, und Günter Hänsel, evangelischer Pfarrer in Berlin, wollen in einer krisengeschüttelten Zeit die spirituelle Kraft der Hoffnung nicht aufgeben. Wo findet unsere Seele also in diesen Tagen Hoffnung? Sie haben ihre Gedanken dazu gemeinsam aufgeschrieben.

In vielen Gespräch der letzten Zeit hören wir immer wieder die Frage, worauf wir noch hoffen können. Wie wird es wohl weitergehen? In unserer Zeit der Krisen, Sorgen und Überforderung spüren wir immer wieder, dass sich Menschen nach Hoffnung sehnen. Die Krisen ängstigen die Seele. Das Leben ist fragil und verletzlich, das spüren wir gesellschaftlich und persönlich. Wo weiß sich unsere Seele geborgen?

In dieser Zeit finden wir Geborgenheit in den Worten von Psalm 23. Er ist für uns ein Hoffnungspsalm. Im Beten des Psalms spüren wir auch die Verbundenheit mit unseren jüdischen Geschwistern. Über Jahrhunderte sprechen Menschen in Bedrängnis und in schweren Stunden des Lebens diese Worte. In Zeiten der Sprachlosigkeit kann er Worte leihen. Inmitten der Turbulenzen des Lebens kann die leise Ahnung aufsteigen, dass da Hoffnung ist.

Kürzlich hat der deutsche Altphilologe Jonas Grethlein ein Buch zur Geschichte der Hoffnung veröffentlicht. Er beschreibt Hoffnung als ein Weltverhältnis, das in unserer Offenheit zur Zukunft verwurzelt ist: "Hoffnung setzt ein Bewusstsein für die eigenen Grenzen voraus – man hofft auf etwas, das möglich, aber unverfügbar ist."  Die Hoffnung weist den Weg auf etwas hin, was nicht sichtbar, doch schon jetzt anbricht und da ist.

Hoffnung ist aber nicht mit Optimismus und Erwartung gleichzusetzen. Das meint auch die französische Philosophin Corine Pelluchon, wenn sie Hoffnung vom französischem "espoir" und "espérance" unterscheidet: "'Espérance' dagegen ist eine theologische Tugend, eine Zukunftserwartung, die nicht meine eigenen Wünsche betrifft. Hoffnung in diesem Sinn ist das Gegenteil von Optimismus."

Solange ich atme

Die Lateiner verbinden die Hoffnung mit dem Atem: "Dum spiro spero = Solange ich atme, hoffe ich". Wenn wir atmen, strömt Hoffnung in uns ein. Ohne Atem, ohne Hoffnung stirbt das Leben ab. Denn die Hoffnung, so auch der koreanisch-deutsche Philosoph Byung-Chul Han in seinem neuesten Buch "Der Geist der Hoffnung", stößt "…ins Unbekannte, ins Unbegangene, ins Offene, ins Noch-Nicht-Seiende vor, indem sie über das Gewesene, über das bereits Seiende hinausgreift."  Die Hoffnung, so Han, müsse erwachen. Sie greife über sich hinaus, komme aus der Ferne, von woandersher.

Der französische Philosoph Gabriel Marcel hat ein eigenes Buch über die Hoffnung geschrieben. Darin unterscheidet er die Hoffnung auf etwas, oder die Hoffnung, dass etwas eintritt, von der absoluten Hoffnung. Die absolute Hoffnung geht weiter, auch wenn das erhoffte Ereignis nicht eintritt. Die absolute Hoffnung macht sich keine konkreten Vorstellungen. Sie vertraut darauf, dass Gott eine neue Zukunft ermöglicht, oder wie Paulus im Römerbrief sagt, dass Gott "die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft" (Römer 4,17). Der Kirchenlehrer Thomas von Aquin unterscheidet die natürliche Hoffnung von der übernatürlichen Hoffnung. Die natürliche Hoffnung geht auf Frieden, auf Gesundheit, auf einen guten Ausgang. Sie ist eine emotionale Kraft, die den Menschen hier trotz aller Schwierigkeiten leben lässt.

"Die Theologin Sölle und der katholische Theologe Fulbert Steffensky setzen der Angst und der Resignation die Kraft der Hoffnung entgegen."

Aber Thomas verbindet die natürliche Hoffnung mit der übernatürlichen. Sein Grundsatz, dass die Gnade die Natur voraussetzt und auf ihr aufbaut, gilt auch hier. Die biblische Hoffnung auf das ewige Leben braucht als Grundlage die natürliche Hoffnung, die jedem Menschen eingeboren ist. Der erste Petrusbrief hat das verstanden. Er beschreibt die frühen Christen, denen die Hoffnung auf die ewige Herrlichkeit die Kraft gab, die Bedrängnisse und Verfolgungen durch die Umwelt durchzustehen. Das hat die Menschen in ihrer Umgebung neugierig gemacht. Sie hatten offensichtlich eine hoffnungsvolle Ausstrahlung. So mahnt der 1. Petrusbrief die Christen: "Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt." (1. Petrus 3,14).

In diesen Tagen denken wir auch an das Buch "Wider den Luxus der Hoffnungslosigkeit" (1995) der evangelischen Theologin Dorothee Sölle und dem katholischen Theologen Fulbert Steffensky. Beide setzen der Angst und der Resignation die Kraft der Hoffnung entgegen. Sie machen deutlich, dass die Hoffnungslosigkeit nicht das letzte Wort haben darf und dass Hoffnung auch die Kraftanstrengung einschließt, an der Verwirklichung von Frieden mitzuwirken. Das ist auch heute die Aufgabe von Christinnen und Christen, Hoffnung in die Welt auszustrahlen. Wenn wir Hoffnung ausstrahlen, dann werden wir in dieser hoffnungsarmen Zeit zum Sauerteig der Hoffnung für unsere Gesellschaft und damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zu einer Gesellschaft, die nicht von Angst und Resignation geprägt ist.

"Ein hoffnungsvoller Blick leugnet und verdrängt die harte Realität nicht, in ihr wird nach dem kleinen Licht in der Nacht Ausschau gehalten."

Dann schaffen wir in der Gesellschaft einen Hoffnungshorizont, von dem Corine Pelluchon sagt, dass er "die Menschen zusammenführen und sie dazu bringen könnte, sich auf das gleiche Ziel auszurichten und zu kooperieren, um eine bessere Zukunft aufzubauen."  Ein hoffnungsvoller Blick leugnet und verdrängt die harte Realität nicht, in ihr wird nach dem kleinen Licht in der Nacht Ausschau gehalten. Das meint auch Corine Pelluchon zur Hoffnung in Zeiten der Klimakrise: "Hoffnung ist die Fähigkeit, trotz den Rückschritten, trotz der Gefahr, die Vorboten eines neuen Zeitalters zu sehen." 

Die Bibel ist ein Buch voller Hoffnung: Menschen versöhnen sich und gehen aufeinander zu. Sie erzählt davon, dass das Leben bei Gott vollendet wird: am Ende der Zeit wird der Tod nicht mehr sein, kein Leid, kein Geschrei und kein Schmerz mehr. Es sind Bilder einer Wirklichkeit, über die wir nur in den Bildern sprechen können. Fulbert Steffensky meint: "Diese Bilder sind Flüge der Hoffnung, keine Fotografien. Sie sind der Realität eher unähnlich als ähnlich. Nicht dass diese Bilder zu viel behaupten. Sie sagen zu wenig. Denn wir werden nie erfassen und entschlüsseln, was es heißt, im Schoße Gottes geborgen zu sein."

Die Quelle unserer Hoffnung gründet im Vertrauen in Gott. Aus dieser Quelle lebend bedeutet für uns, angesichts der harten Realität, die Möglichkeit des Guten nicht aufzugeben. Auch wenn es dafür keine Garantie gibt, sagt Jonas Grethlein: "Hoffnung hingegen ist der Wunsch, dass etwas gut wird, im Wissen, dass das nicht in meiner Hand liegt. Pessimistisch zu sein und zugleich hoffnungsvoll zu leben, das ist gar kein Widerspruch. Momentan entwickeln wir vielleicht ein neues Sensorium für Hoffnung: weil wir uns bewusst werden, dass wir die Zukunft nicht in der Hand haben."  In einer hoffnungsvollen Haltung zu leben, ist kein halbes Leben. Es ist der Mut, angesichts der Krisen und Sorgen unserer Zeit im Erwachen der Morgenröte zu leben, so wie es der evangelische Theologe Jürgen Moltmann ausdrückt. 

Die Worte des Psalms 23 nähren unsere Hoffnung in diesen Tagen. Die Psalmen wissen um Bedrängnis, Sorge und Angst. Die Betenden klagen und zugleich singen sie das sanfte Lied der Hoffnung. Oder wie Dorothee Sölle meint: "Hoffnung und Verzweiflung wohnen im gleichen Haus." Alle Sorgen, Ängste und Zweifel bringen wir mit den Worten des Psalms vor Gott zur Sprache. "Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir…" - in diesen Worten bergen wir uns in diesen Tagen. In Gottes Gegenwart darf alles sein und es stärkt uns zu erahnen, dass das Leben von "guten Mächten", wie es Dietrich Bonhoeffer in seinem bekannten Gedicht ausgedrückt hat, umgeben ist.

In Gott geborgen zu sein, das gibt uns Trost und Hoffnung in bedrängten Zeiten. In dieser krisengeschüttelten Zeit bilden Worte wie die des Psalms 23 einen Mantel, in dem wir uns bergen können. In Ängsten und Sorgen ummantelt er uns. In diesen Momenten findet die Seele einen Ort der Zuflucht. In solchen Momenten kann sie vielleicht aufsteigen, ganz still und leise, die Hoffnung.

evangelisch.de bedankt sich bei den Autoren für den Gastbeitrag.