Berlin, Genf (epd). Politik und Hilfswerke sehen im geplanten Abkommen zwischen Israel und der Hamas eine Chance für die Menschen im Gaza-Streifen. Jetzt sei die Gelegenheit für substanzielle Verbesserung, damit das „furchtbare Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung“ gelindert werde, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Freitag in Berlin. „Ärzte ohne Grenzen“ sieht in der vereinbarten Waffenruhe eine lebensnotwendige Atempause für die Menschen. Die Vereinten Nationen forderten derweil den ungehinderten Zugang von Hilfsorganisationen zu den Bedürftigen.
Das Abkommen, auf das sich Israel und die Hamas geeinigt haben, umfasst mehrere Phasen. In der ersten Phase von sechs Wochen wird die Hamas 33 lebende Geiseln freigeben, im Gegenzug wird Israel Hunderte palästinensische Gefangene entlassen. Zudem sollen täglich 600 Lastwagen mit Hilfsgütern in den Gaza-Streifen geliefert werden - bisher waren es durchschnittlich nur 100. Des Weiteren soll die israelische Armee mit ihrem Rückzug beginnen.
„Die Palästinenserinnen und Palästinenser brauchen dringend eine bessere Versorgung mit Lebensmitteln und medizinischer Hilfe“, sagte Scholz. Die Bundesregierung sei bereit, dabei weiter zu unterstützen. „Diese Einigung auf einen Waffenstillstand im Gaza-Streifen birgt die Chance für ein dauerhaftes Ende des Krieges.“ Die Vereinbarung müsse jetzt Schritt für Schritt konsequent umgesetzt werden. Am Ende müssten alle Geiseln freikommen und auch die sterblichen Überreste der Toten an die Familien übergeben werden.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilte mit, sie stehe zur Hilfe für die Bevölkerung im Gaza-Streifen bereit. Zugleich seien mehr als zehn Milliarden US-Dollar nötig, um das teilweise zerstörte Gesundheitssystem in dem Gebiet wieder aufzubauen, sagte der WHO-Beauftragte für die besetzten palästinensischen Gebiete, Rik Peeperkorn, in Jerusalem. Nur die Hälfte der 36 Krankenhäuser in Gaza sei betriebsbereit.
Jeder Mensch im Gaza-Streifen habe Gewalt erlitten, die gesamte Bevölkerung sei seit Beginn des Krieges im Oktober 2023 vielfach vertrieben worden, mehr als 46.000 Menschen seien getötet und über 110.000 verletzt worden, erläuterte Peeperkorn. Über ein Viertel der Verletzten hätten lebensbedrohliche Blessuren. Zudem seien Krankheiten auf dem Vormarsch, und weiterhin drohe eine Hungersnot. Auch der Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung und das Unwesen von bewaffneten Banden seien sehr besorgniserregend.
„Ärzte ohne Grenzen“ erklärte, angesichts des unermesslichen Leids komme der geplante Waffenstillstand sehr spät. Nun müsse er mehr sein als eine bloße Pause und dauerhaft eingehalten werden. Zudem müsse die humanitäre Hilfe massiv aufgestockt und alle Menschen im gesamten Gaza-Streifen erreicht werden.
Auch die Welthungerhilfe forderte die Aufhebung aller Restriktionen im Gaza-Streifen. Ende 2024 hätten etwa 1,8 Millionen der rund 2,2 Einwohner des Gaza-Streifens gehungert, 133.000 seien unmittelbar vom Hungertod bedroht gewesen. In Anbetracht der immensen Zerstörung und Bedarfe müssten die Grenzen zu Gaza für Hilfe geöffnet werden. Die israelischen Behörden hatten das Gebiet nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober fast komplett abgeriegelt und kaum Einfuhr von Hilfe erlaubt.
Das Abkommen war am Mittwoch angekündigt worden. Damit es wie geplant am Sonntag in Kraft treten kann, musste es noch vom israelischen Sicherheitskabinett sowie dem gesamten israelischen Kabinett angenommen werden. Laut der Zeitung „Times of Israel“ versicherte das Büro von Premierminister Benjamin Netanjahu, trotz des engen Zeitplans könnten die ersten Geiseln bereits am Sonntag von der Hamas freigelassen werden.