evangelisch.de: Wie haben Sie sich auf Ihre Festrede vorbereitet, und gibt es bestimmte Botschaften, die Ihnen besonders wichtig sind, an die Zuhörerinnen und Zuhörer zu vermitteln?
Heinrich Bedford-Strohm: Ich habe die Einladung zu diesem Festvortrag auch deswegen gerne angenommen, weil ich schon lange mein Wissen über Albert Schweitzer vertiefen wollte und nun einen äußeren Anlass dazu hatte. Ich habe jetzt nochmal viel von ihm und über ihn gelesen, auch einiges, was speziell für Kinder und Jugendliche geschrieben wurde. Seine wichtigste Botschaft, dass nämlich Humanität als Grundhaltung eine wesentliche Dimension guten Lebens ist, verstehen alle, ob sie 8 Jahre alt sind oder 80.
2022 wurden Sie mit der Albert-Schweitzer-Medaille ausgezeichnet. Welche Bedeutung hat Albert Schweitzer für Sie persönlich? Gibt es bestimmte Aspekte seines Lebens oder Wirkens, die Sie besonders inspirieren?
Bedford-Strohm: Ich habe mich über diese Auszeichnung sehr gefreut, weil sich für mich mit dem Namen Albert Schweitzer immer eine Haltung verbunden hat, für die auch ich mich heute einsetzen möchte. Seine Lehre von der "Ehrfurcht vor dem Leben", auf die ich schon in jungen Jahren gestoßen war und die mich unmittelbar angesprochen hat, ist hochaktuell, weil sie auch die außermenschliche Natur in ihrer Würde achtet. Sie ignoriert nicht die konflikthafte Dimension im Umgang des Menschen mit der Natur. Aber sie wirbt dafür, nicht achtlos Leben zu zerstören. Genau diese Haltung brauchen wir, wenn die so dringliche ökologische Neuorientierung von Wirtschaft und Gesellschaft Erfolg haben soll.
Es wird gesagt, dass Ihr Engagement für Menschlichkeit und Frieden Parallelen zu Albert Schweitzer aufweist. Wie empfinden Sie diesen Vergleich?
Bedford-Strohm: Falls das einmal irgendjemand gesagt haben sollte, ehrt es mich. Aber es wäre natürlich völlig unangemessen, meine kleinen Versuche, einen Beitrag für mehr Menschlichkeit und Frieden zu leisten, in einem Atemzug mit einem Mann wie Albert Schweitzer zu nennen.
Welche Rolle kann die Kirche heute in der Förderung von Schweitzers Werten spielen, insbesondere in einer zunehmend säkularen Gesellschaft?
Bedford-Strohm: Sie kann und muss eine sehr wichtige Rolle spielen. Denn gerade auch Menschen, die selbst keine religiöse Bindung mehr spüren, erwarten geradezu von der Kirche, dass sie für Humanität und Achtung vor der Natur einsteht. Albert Schweitzer hat auch deswegen weit über das Christentum hinaus eine so große Wirkung gehabt, weil er mit seinem Lebenszeugnis für das eingestanden ist, was er geglaubt hat. Wir brauchen Allianzen jenseits religiöser und weltanschaulicher Grenzen, um wirksame Antworten auf die großen Menschheitsfragen zu geben. Die dazu notwendigen politischen Veränderungen werden nur möglich sein, wenn sich auch die Haltungen ändern. Dafür spielt Religion nach wie vor eine zentrale Rolle, weil sie nicht nur den Kopf, sondern auch Herz und Seele erreicht.
Als Vorsitzender des Weltkirchenrats: Wie sehen Sie die globale Bedeutung von Schweitzers Ethik? Gibt es Parallelen zu aktuellen Herausforderungen, mit denen die Weltgemeinschaft konfrontiert ist?
Bedford-Strohm: Schweitzers Ethik hat nach wie vor hohe Relevanz für die Weltgemeinschaft. Was den Umgang mit dem Kolonialismus angeht, werden wir heute sicher neue, viel kritischere Antworten geben müssen. Aber mit seiner Arbeit in Lambarene hat er schon damals gegen den von extremem Machtgefälle geprägten Eurozentrismus seiner Zeit bezeugt, dass jeder Mensch, egal wo er lebt, gleichermaßen zum Bilde Gottes geschaffen ist und ein Leben in Würde, inklusive einer angemessenen Gesundheitsversorgung, verdient. Mit seiner Ethik von der Ehrfurcht vor dem Leben hat Schweitzer schon damals wichtige Gedanken geäußert, die wir im Weltkirchenrat heute vor allem von Menschen aus indigenen Bevölkerungen lernen und die ein Leben mit der Natur und nicht gegen die Natur in den Blick nehmen. Im Hinblick auf die großen Herausforderungen einer komplexen globalen Wirtschaft heute gilt es, mit Schweitzer über Schweitzer hinauszudenken.