Kassel (epd). Weihnachten ist für viele ein Fest der Freude, für Inhaftierte ist es eine der schwierigsten Zeiten im Jahr. Abgeschnitten von ihren Lieben und ohne festlichen Glanz in den Zellen, erleben sie den Schmerz der Trennung als große Belastung, wie der evangelische Gefängnisseelsorger in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Kassel I, Frank Illgen, schildert. Sehnlichster Wunsch sei, wieder in Freiheit mit den Angehörigen feiern zu können.
Trotz der schwierigen Umstände wird in der Kasseler Justizvollzugsanstalt mit rund 340 Haftplätzen versucht, ein Stück Weihnachtsatmosphäre zu schaffen. Die Häuser sind geschmückt: Tannenbäume stehen in den Fluren, im Kirchenraum ein Adventskranz. Für die Inhaftierten gibt es Adventsfeiern mit Musik, Kaffee und Kuchen. Alle Angebote seien der Versuch, der Einsamkeit und Isolation im Haftraum entgegenzuwirken und etwas von der frohen Botschaft zu allen zu tragen, sagt der Kasseler Theologe.
Inhaftierte wie Peter (alle Vornamen der Inhaftierten sind geändert) beteiligen sich aktiv an den Vorbereitungen, während andere sich zurückziehen. Der 63-Jährige ist Teil der Mittwochsgruppe, die sich regelmäßig mit dem Pfarrer trifft und Fragen zu ihren Gedanken zur Weihnachtszeit schriftlich beantwortet hat. „Für mich sind der Zusammenhalt unter den Gefangenen und die Stärkung der Gemeinschaft wichtig“, schreibt Peter. Kurz vor Weihnachten kommt ein Schulchor zu einem Gottesdienst - „ein besonderes Highlight“, findet er. Norbert freut sich, Weihnachtskarten zu basteln - „um vom Alltag abzuschalten“. Und Dennis stimmt sich mit heißem Himbeersirup anstelle von Glühwein auf Weihnachten ein.
In den Zellen sind viele Dinge wie Kerzen, Weihnachtskugeln oder Weihnachtsmänner aus Schokolade verboten, sie könnten als Waffen oder Drogenverstecke genutzt werden, erklärt Illgen. Für Neuankömmlinge sei es besonders traurig, den Haftraum nicht weihnachtlich dekorieren zu dürfen, es fehlten auch die Düfte, sagt Andreas, der noch nicht lange in Haft ist.
Viele haben in diesen Tagen mehr Gesprächsbedarf als sonst. Neben Seelsorger Frank Illgen stehen ein katholischer Pfarrer und ein Diakon den Inhaftierten zur Seite. „Die Kirche hat immer ein offenes Ohr“, so Peter, der dankbar ist, bei der Seelsorge sein Herz ausschütten zu können. Das ist umso wichtiger, wenn Inhaftierte keine sozialen Kontakte haben. Während die einen in der Advents- und Weihnachtszeit mehr Post als sonst bekommen, gehen andere leer aus - so wie Andreas, dessen Familie den Kontakt abgebrochen hat.
Weihnachtspäckchen bekommt in Kassel allerdings niemand, denn sie sind im hessischen Strafvollzug verboten: „Die Zusendung von Waren an Gefangene ist seit der Justizreform 2010 aus Sicherheitsgründen nicht möglich“, erklärt Illgen. Die einen bedauern, „nichts Persönliches von der Familie bekommen zu können“, andere halten das Verbot für „unmenschlich“. Norbert wünscht sich, „wenigstens einmal im Jahr“ dieses Zugeständnis. Aus Sicht von Peter hat es auch früher, als Pakete noch erlaubt waren, keine Überraschungen gegeben, da alles beantragt werden musste. Die Weihnachtstüte des Pfarrers mit Gebäck, Kaffee und Tabak sei eine größere Freude.
Unter den Inhaftierten gibt es auch Väter, sie haben wenig Kontakt zu ihren Kindern. Telefonate und Briefe sind für sie wichtig. In Kassel beteiligten sich dieses Jahr drei Väter an der Aktion „Nikolausgrüße aus dem Knast“, die 2013 von Michael Kullinat von der katholischen Seelsorge an der JVA Schwalmstadt für das Bistum Fulda ins Leben gerufen wurde. Väter können ihren Kindern eine Weihnachtsgeschichte vorlesen, die aufgenommen und verschickt wird. Die Stimme des Vaters sei entscheidend, um die Beziehung zu erhalten, betont Kullinat.
Die Andachten der Seelsorge helfen vielen Inhaftierten, die schwere Zeit zu überstehen. Sie vermitteln ihnen ein Gefühl von Weihnachten und „lassen die Einöde des Haftraums vergessen“. Pfarrer Illgen stellt fest, dass die Angebote der Seelsorge oft als Ersatz für die Familie dienen, mit der man sonst Gemeinschaft und Rituale teilt.
An Heiligabend wird in der JVA Kassel ein ökumenischer Gottesdienst gefeiert, ein besonderes Essen zubereitet, die Gaben der Seelsorge verteilt, und in den Zellen werden abends Teelichter leuchten, die Weihnachten ausgegeben werden dürfen. Der Gottesdienst lasse spüren, „dass da noch jemand ist, dem es nicht egal ist, wie es den Gefangenen geht“, schreibt einer der Männer. Für einen anderen bringt die Weihnachtsbotschaft „die Hoffnung auf ein gutes Ende in Haft“ mit sich.