Zur Weihnachtzeit fühlt sich Carla ohnehin schon immer wie im falschen Film, aber diesmal stimmt das sogar. Als sie nach einem Sturz wieder zu sich kommt, befindet sich die Berlinerin in einer verschneiten Bergwelt, und weil alle sie Lilia nennen, ahnt sie auch, wo sie gelandet ist: Lilia LeClerk ist die Heldin der Groschenromanreihe "Die Alpenbäckerei", die ihre Mutter seit über zwanzig Jahren unter dem Pseudonym Marlene von Osterburken verfasst.
Carla konnte mit den Kitschheften nie etwas anfangen; außerdem waren die Abenteuer der selbstlosen Lilia und der herzensguten Dorfhelferin Greta ihrer Mutter stets wichtiger als die eigene Tochter. Nun bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich dieser Herausforderung zu stellen: Ein finsterer Unhold will das Dorf platt machen, um an dessen Stelle eine Luxusresidenz zu errichten.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Allerdings gibt es einen Ausweg: Lilia winkt eine umfangreiche Erbschaft, die sie jedoch nur erhält, wenn sie heiratet, bevor Weihnachten vorbei ist. Dummerweise hat sie selbst dafür gesorgt, dass sämtliche Männer in festen Händen sind. Letzter Junggeselle ist ein mürrischer Einsiedler, der aber gar keine Lust hat, dieses Dorf, das er aus gutem Grund hinter sich gelassen hat, zu retten.
Schon allein die Geschichte ist formidabel, zumal das Drehbuch (Michael Bohnenstingl, Isabelle Caps-Kuhn, Christiane Rosseau) die Erlebnisse der Alpenbäckerin in einen passenden Rahmen bettet: Im wahren Leben arbeitet Carla (Paula Kalenberg) als ehrgeizige TV-Journalistin für einen Berliner Privatsender. Am 24. Dezember darf sie endlich ihren ersten eigenen Bericht drehen, doch diesen Auftrag würde sie am liebsten ablehnen: Sie soll ein Interview mit Marlene von Osterburken (Leslie Malton) führen; wegen des Künstlernamens kann ihre Chefin (Jasmin Tabatabai) nicht ahnen, dass sich die beiden Frauen besser kennen, als Carla lieb ist.
Sie versucht zwar, professionelle Distanz zu wahren, aber das klappt natürlich nicht, weshalb der Film seine wundersame Wendung nimmt: Carla wird zu Lilia, und zu Marlenes großer Verblüffung bekommt die Redewendung von der Geschichte, die sich wie von selbst schreibt, eine ganz neue Bedeutung.
Regisseur Jan Haering hat unter anderem die sehenswerte Sat.1-Komödie "Undercover küsst man nicht" (2016) und zuletzt "Die Notärztin" (ARD/SWR, 2024) gedreht. Die Feuerwehrserie war fesselnd und gerade von Sabrina Amali ausgezeichnet gespielt, aber etwas beschaulich inszeniert. Das ist bei "Zitronenherzen" ganz anders; schon allein der stetige Wechsel zwischen der Tiroler Fantasiewelt und der Berliner Wirklichkeit sorgt für Abwechslung und Tempo.
Der eigentliche Reiz des Films resultiert jedoch aus dem Kontrast zwischen dem Ambiente der Alpensaga und ihrer neuen Hauptfigur: Aus der braven Lilia wird dank Carla eine moderne Heldin, die das Szenario zunächst für einen Streich hält und mit juristischen Konsequenzen droht. Greta (Diana Amft) führt das seltsame Verhalten ihrer Freundin auf eine Gehirnerschütterung zurück und versichert ihr, der Spuk werde ein Ende haben, sobald das Dorf gerettet sei.
Derweil macht in der Realität Marlenes Verleger (Markus Hering) Druck. Für den Abend ist eine Lesung geplant, die Fan-Gemeinde hofft auf ein glückliches Ende, aber die Handlung entwickelt sich in eine ganz andere Richtung. Der Unhold erkennt, dass er und die neue Lilia aus dem gleichen Holz geschnitzt sind: Beide hassen diese verlogene Kitschwelt aus tiefstem Herzen.
Zur besonderen Qualität von "Zitronenherzen" – der Titel bezieht sich auf eine Spezialität der Bäckerin – gehört neben der clever konzipierten Geschichte und der originellen Verknüpfung der beiden Handlungsstränge auch die Seriosität, mit der Lilias Kampf um die Zukunft des Dorfes geschildert wird. Daraus hätte auch eine Satire werden können, aber Haering nimmt die Erlebisse der Heldin exakt so ernst, wie sich das für einen Heimatfilm gehört.
Während sich die Ereignisse in den Alpen verselbstständigen, macht sich Marlene, ihre mechanische Schreibmaschine auf den Knien, mit einem Taxi auf den Weg zur Lesung, und weil sich ihr Fahrer (Maltons Mann Felix von Manteuffel) als lebenskluger Gentleman entpuppt, dessen Anregungen sie umgehend in den Roman einbaut, kommt auch in ihr Leben unerwartete Bewegung.
Neben der Kernidee und den vielen kleinen Einfällen am Rande bereitet vor allem das Ensemble ein großes Vergnügen, wobei die Hauptdarstellerinnen nicht nur wegen ihrer exponierten Rollen herausragen. Der famos gespielte "Notting Hill"-Schluss ist die perfekte Krönung dieser besonderen Komödie.