Frankfurt a.M. (epd). „Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele.“ Dieser bekannteste Satz von Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888) ist bis heute einendes Motiv für jede Genossenschaftsgründung weltweit. Mit seinem und dem Namen von Hermann Schulze-Delitzsch (1808-1883) ist hierzulande die Entstehung der „modernen“ Genossenschaften vor rund 170 Jahren eng verknüpft. Die Idee dahinter: Frauen und Männer schließen sich freiwillig zusammen, um gemeinsam zu wirtschaften - die Förderung der Genossenschaftsmitglieder soll allein aus eigener Kraft und nicht etwa durch Unterstützung des Staates gelingen.
Wohl auch wegen dieses überzeugenden solidarischen Ansatzes findet man Genossenschaften heute in allen gesellschaftlichen Feldern, neuerdings sogar im Fußball, wo der Bundesligist St. Pauli gerade eine Genossenschaft gegründet hat, um ein alternatives Finanzierungsmodell im Profisport umzusetzen.
In Deutschland wie auch zuvor in England wurden die ersten modernen Genossenschaften aus der Not heraus geboren und hatten zum Ziel, Handwerkern und Bauern zu helfen. Der Bürgermeister Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Justiziar Hermann Schulze-Delitzsch erkannten nahezu zeitgleich, dass zu einer erfolgreichen Selbsthilfe auch Selbstfinanzierung gehört. 1847 rief Raiffeisen in Weyerbusch im Westerwald den ersten Hilfsverein zur Unterstützung der Not leidenden und oft verschuldeten ländlichen Bevölkerung ins Leben. 1864 entstand die Raiffeisen'sche Genossenschaft „Heddesdorfer Darlehnskassenverein“.
Hermann Schulze im sächsischen Delitzsch gründete nach den Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung 1849 die ersten „Rohstoffassoziationen“ für Tischler und Schuhmacher. 1850 folgte der erste „Vorschussverein“ - Vorläufer der heutigen Volksbanken. Die Genossenschaftsidee und -praxis steht heute als ein deutscher Beitrag auf der Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes.
Laut Deutschem Genossenschafts- und Raiffeisenverband gibt es knapp 8.000 Genossenschaften in nahezu allen gesellschaftlichen Feldern: vom Bankenwesen über Wohnungsbau, Handwerk, Energiewirtschaft, Einzelhandel bis hin zum Sozialsektor und dem Gesundheitswesen. Mit 20 Millionen Mitgliedern und einer Million Mitarbeitenden seien sie „eine treibende Kraft für Wirtschaft und Gesellschaft“. Statistisch betrachtet profitiere jeder vierte Bundesbürger von der Zugehörigkeit zu einer der verschiedenen Genossenschaftssparten.
Deutschland ist jedoch im europäischen Vergleich bestehender Genossenschaften keineswegs führend: Italien zählte 2022 rund 60.000 Genossenschaften, die Türkei 34.000 und Frankreich 22.500.