Potsdam (epd). Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) hat in den vergangenen Jahren tausende antisemitische Vorfälle in Deutschland erfasst. Von 2019 bis 2023 seien insgesamt 13.654 Fälle bekannt geworden, heißt es in der Studie „Rechtsextremismus und Antisemitismus“, die am Mittwoch in Potsdam veröffentlicht wurde. Davon hätten 44 Prozent einen klar erkennbaren politischen Hintergrund. Bei 56 Prozent der Fälle sei die Motivation nicht eindeutig zu bestimmen. Insgesamt müsse von einer großen Dunkelziffer ausgegangen werden.
Insgesamt 2.284 und damit 17 Prozent der erfassten Fälle seien dem Rechtsextremismus zuzuordnen, heißt es in der Studie. Zwölf Prozent hätten einen verschwörungsideologischen Hintergrund, neun Prozent gingen auf israelfeindlichen Aktivismus zurück. Jeweils zwei Prozent werden islamisch-islamistischen, sogenannten antiimperialistischen sowie in der politischen Mitte stehenden Akteuren zugeschrieben. Der Rechtsextremismus sei damit der am häufigsten erfasste politische Hintergrund antisemitischer Vorfälle.
Wie tief und dauerhaft antisemitische Vernichtungsabsichten im rechtsextremen Milieu verankert seien, belegten zahlreiche Straftaten, von den Morden an Frida Poeschke und Shlomo Lewin 1980 in Erlangen bis hin zum Anschlag auf die Synagoge von Halle 2019, wird in der Studie hervorgehoben. Die Publikation liefere nun erstmals eine umfassende Auswertung antisemitischer Vorfälle mit rechtsextremem Hintergrund zwischen 2019 und 2023. Sie zeige auch, dass für Betroffene von Antisemitismus von der extremen Rechten eine besondere Gefahr für Leib und Leben ausgehe.
In diesem Bereich seien sechs Fälle extremer Gewalt erfasst worden, darunter der Anschlag von Halle und ein schwerer Angriff auf einen jüdischen Israeli in Frankfurt am Main 2022. Unter den weiteren Vorfällen seien 34 Angriffe, 109 gezielte Sachbeschädigungen unter anderem an Gedenkstätten, 140 Bedrohungen und 1.782 Fälle verletztenden Verhaltens, unter anderem durch direkte Beleidigungen, Zuschriften und Online-Kommentare.
213 Fälle waren der Studie zufolge sogenannte Massenzuschriften. Diese insbesondere online versandten antisemitischen Zuschriften erhielten vor allem Politiker, Journalisten, Vertreter jüdischer Gemeinden und Institutionen sowie andere in der Öffentlichkeit stehende Personen. Für Jüdinnen und Juden seien derartige Zuschriften häufig bedrohlich, besonders, wenn sie per Post zugestellt werden. 86 der Massenzuschriften seien direkt gegen jüdische Institutionen gerichtet gewesen.
Drei gesellschaftliche Anlässe hätten im Untersuchungszeitraum zu einem zwischenzeitlichen oder noch andauernden Anstieg antisemitischer Vorfälle geführt, die in unmittelbarem Bezug zum jeweiligen Anlass standen, heißt es in der Studie. Das seien die Covid-19-Pandemie, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 und die israelische Reaktion darauf gewesen. Dort hätten jedoch rechtsextreme Hintergründe eine deutlich geringere Rolle gespielt als bei antisemitischen Vorfällen insgesamt.