Berlin (epd). Der Bundestag hat am Donnerstag in einer erregten Debatte mit den Beratungen über eine Legalisierung von Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche begonnen. Die Abgeordneten debattierten in Berlin über einen Gruppenantrag, der von Parlamentarierinnen und Parlamentariern aus der SPD, von den Grünen und aus der Linken initiiert wurde.
Eine der Initiatorinnen des Antrags, die SPD-Politikerin Carmen Wegge, appellierte an die Mitglieder des Bundestags, die Neuregelung von Abtreibungen zu „einer Sternstunde des Parlaments“ zu machen. Mit dem Gruppenantrag liege ein moderater und ausgewogener Vorschlag zur Entkriminalisierung von Frauen und Ärzten und zum Schutz des ungeborenen Lebens vor. Eine deutliche Mehrheit in der Bevölkerung wolle eine solche Neuregelung.
Dem Entwurf zufolge sollen Abtreibungen nicht mehr im Strafrechtsparagrafen 218 geregelt werden. Die Beratungspflicht für Frauen wird beibehalten, die Bedenkzeit von drei Tagen zwischen Beratung und Eingriff soll entfallen. Die Kosten eines Abbruchs sollen die Krankenkassen übernehmen. Mehr als 320 Abgeordnete der 733 Mitglieder des Bundestags unterstützen den Entwurf, darunter auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock (beide Grüne).
Die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), lehnt den Gesetzesentwurf ab und verteidigte in der Debatte die geltende Regelung. Den Abbruch im ersten Drittel der Schwangerschaft als rechtmäßig zu erklären, sei „unvereinbar mit der Menschenwürde und dem Lebensrecht des Kindes“, sagte sie. Die CSU-Abgeordnete Dorothee Bär warf den Initiatorinnen des Gruppenantrags vor, die Debatte einseitig zu führen. Auch der Union gehe es um die Selbstbestimmung der Frau, sagte Bär, aber genauso um das ungeborene Kind.
Die FDP-Abgeordnete Gyde Jensen erklärte, sie sei in der nächsten Legislaturperiode bereit, einen ähnlichen Gruppenantrag zu unterstützen. Sie habe ihren eigenen Standpunkt bereits gefunden: „Wer in dieser schwierigen Lage ist, der sollte nicht zusätzlich der Belastung ausgesetzt sein, potenziell eine Straftat zu begehen.“ Bei anderen Abgeordneten sei die Meinungsbildung hingegen noch nicht abgeschlossen, mahnte Jensen. Deshalb dürfe die Debatte nicht „in Eile“ geführt werden.
Jensen ging damit auf die Kritik am Verfahren ein. Bis zur geplanten Neuwahl des Bundestags am 23. Februar gibt es nur noch zwei reguläre Sitzungswochen des Parlaments. Die Zeit reiche für eine gründliche Beratung nicht aus, kritisieren neben der FDP auch die Union und Vertreter der katholischen Kirche. Die Initiatorinnen setzen hingegen darauf, dass die Beratungen nicht verzögert werden und es zur Abstimmung kommt. Für eine Mehrheit sind sie auf Enthaltungen oder Ja-Stimmen aus der FDP angewiesen. Abgeordnete des Bündnisses Sahra Wagenknecht unterstützen den Antrag, die AfD lehnt ihn geschlossen ab.
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, erklärte, es sei dem Thema nicht angemessen, dass eine Neuregelung der Abtreibungen „nun zwischen Vertrauensfrage und Neuwahlen im Deutschen Bundestag behandelt und zum Gegenstand des Wahlkampfs gemacht werden“ solle.
Die Grünen-Frauenpolitikerin und Mitinitiatorin des Antrags, Ulle Schauws, rief die Parlamentarier dazu auf „Geschichte zu schreiben“. Der Paragraf 218 sei „zutiefst patriarchal“, sagte sie. Der Abgeordnete Helge Limburg (Grüne) - einer von zwei Männern, die sich an der Debatte beteiligten - rief seine Geschlechtsgenossen dazu auf, sich solidarisch an die Seite der Frauen zu stellen. Der Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen sei nicht allein ein „Frauenthema“.
In Deutschland werden Abtreibungen in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft nicht bestraft, wenn das vorgeschriebene Verfahren mit einer Beratung eingehalten wird. Sie sind aber rechtswidrig, weshalb die Kosten nicht übernommen werden und die Zahl der Praxen, die Abbrüche vornehmen, seit Jahren zurückgeht. Der Abtreibungskompromiss geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurück, wonach der Staat den Schutz des ungeborenen Lebens ebenso zu beachten hat wie das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren.