Frankfurt a.M. (epd). Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat sich nach den Worten des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, die Lage jüdischer Kulturschaffender grundlegend geändert. „Ich erhalte regelmäßig Nachrichten, in denen jüdische Kulturschaffende von Ausgrenzung berichten“, sagte Schuster bei einer Fachtagung am Montag in Frankfurt am Main. „Aufträge brechen weg, Einladungen werden aufgelöst, Kooperationen gekündigt.“ Die Botschaft laute: „Ihr gehört nicht zu uns.“ Es gebe in der Kulturbranche eine „offene Stimmungsmache mit rassistischen und antisemitischen Untertönen“.
Dagegen wären Mechanismen wirksam, die sich die Kulturbranche selbst schafft, sagte der Zentralratspräsident bei der Tagung „Jüdisches Leben in Deutschland im Spannungsfeld zwischen Anpassung und Autonomie“. „Seit dem 7. Oktober 2023 ist es geläufig geworden, zu einer antisemitischen Intifada aufzurufen und die Existenz Israels infrage zustellen.“ Die Verbrechen der Hamas würden zu einem „antikolonialen Widerstand verklärt“. Kulturinstitutionen müssten dagegen Räume schaffen, in denen unterschiedliche Positionen diskutiert werden könnten, forderte Schuster. Tatsächlich regiere unter Jüdinnen und Juden die Angst.
Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, bezeichnete den Antisemitismus im Kulturbereich als „unsäglich“. Er schäme sich für den Boykott jüdischer Kultur durch Kulturinstitutionen, sagte Zimmermann, der auch Sprecher der Initiative kulturelle Integration ist. „Wie kann jemand, der für die Kunstfreiheit kämpft, jemanden aus Israel boykottieren?“, fragte er. Mit dem Angriff auf Juden würden auch die Gesellschaft und die Demokratie angegriffen. „Unsere Gesellschaft darf nicht zulassen, dass jüdisches Leben und Juden nicht mehr sichtbar sein können“, forderte Zimmermann. Das setze deren Sicherheit voraus.
Die Kulturministerkonferenz beschäftige sich intensiv mit dem Antisemitismus, sagte deren Vorsitzender, der hessische Kulturminister Timon Gremmels (SPD). Deshalb seien nach dem Antisemitismus-Skandal der „documenta fifteen“ 2022 für die Weltkunstausstellung ein „Code of Conduct“ und ein Beirat geschaffen worden. „Wir brauchen eine Haltung“, sagte der Minister. „Am Ende müssen Politiker Position beziehen.“
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hielt dagegen: „Es gibt Fälle, da hilft ein Code of Conduct nicht weiter, da muss man durchgreifen.“ Die öffentliche Hand solle Fördergeld von der documenta zurückfordern.
Der Publizist Michel Friedman warf ein, dass man bei der „documenta fifteen“ von der Freiheit der Kunst sprechen könne, aber das ändere nichts daran, dass die kritisierten Kunstwerke antisemitisch seien. „Stehen Minister für die Freiheit der Kultur oder für die Würde aller Menschen?“, fragte er. Grundsätzlich sei die von der Aufklärung geforderte Gleichheit der Menschen nur dann glaubwürdig, wenn sie die Ungleichheit verteidige, sagte er mit Blick auf Jüdinnen und Juden in der Gesellschaft. Im 21. Jahrhundert dürfe es keine Diskriminierung geben, wenn jemand ungleich ist, betonte Friedman.