TV-Tipp: "Tatort: Trotzdem"

Fernseher vor gelbem Hintergrund
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6. Oktober., ARD, 20.15 Uhr:
TV-Tipp: "Tatort: Trotzdem"
Lügen haben laut Volksmund kurze Beine: weil sie irgendwann doch ans Licht kommen. Selten hat ein "Tatort" jedoch derart drastisch vor Augen geführt, welche Folgen eine Falschaussage haben kann.

Blutiger Höhepunkt des Franken-Krimis ist eine Schießerei auf offener Straße, in deren Verlauf vier Menschen sterben; und das sind bereits die Leichen Nummer fünf und sechs. Passenderweise beginnt der zehnte Fall für Felix Voss und Paula Ringelhahn (Fabian Hinrichs, Dagmar Manzel) mit dem Protestsong-Klassiker "Eve of Destruction". Auch wenn es in der nun folgenden Handlung nicht um den Weltuntergang geht, von dem Barry McGuire 1965 gesungen hat: Für eine Familie fühlt es sich genauso an.

Der Prolog zeigt Schwarzweißbilder, die sich zunächst nicht entschlüsseln lassen. Es folgt ein kurzer Momente der Unbeschwertheit, als sich ein Mann mit dem Satz "Die Frauen sind das Glück dieser Erde" von seiner Freundin Lisa verabschiedet. Grundsätzlich ist diese Erkenntnis sicher nicht falsch, aber Stephan Dellmann würde sie vermutlich nicht unterschreiben, zumal er kurz drauf tot ist: Lisa und Maria Kranz (Mercedes Müller, Anne Haug) haben ihn vom Balkon gestoßen. Ein klarer Fall von Selbstjustiz: Die beiden Schwestern sind überzeugt, dass Stephan mit einem Frauenmord davon gekommen ist, für den ihr Bruder Lenni vor drei Jahren verurteilt worden ist; nun hat er sich im Gefängnis das Leben genommen.

All’ das passiert gleich zu Beginn dieses Krimis, dem Max Färberböck, Schöpfer des fränkischen Teams (Koautor: Stefan Betz), den Titel "Trotzdem" gegeben hat. Er bezieht sich auf die Lebensdevise von Stephans Vater: Karl Dellmann (Fritz Karl) hat in seiner Jugend schwere Schuld auf sich geladen und dafür gebüßt. Damals hat er sich vorgenommen, dennoch etwas aus seinem Leben zu machen. Mittlerweile ist er einer der erfolgreichsten Unternehmer im Frankenland, hat mehrere Stiftungen gegründet und spendet die Hälfte seines Vermögens; doch nun will er Rache. Also engagiert er einen verurteilten Mörder (Gerhard Liebmann), der ihm zu großem Dank verpflichtet ist; und jetzt geht die Geschichte eigentlich erst richtig los.  

Parallel zu dieser fatalen Entwicklung rollen Voss und Ringelhahn im Auftrag ihres Chefs (Stefan Merki) nochmals den alten Fall auf und erkennen im Verlauf ihrer Befragungen, was vermutlich schon damals alle Beteiligte geahnt haben: Lenni Kranz ist auf Basis einer "dünnen Beweislage" verurteilt worden. Es gab noch weitere Tatverdächtige, darunter auch Dellmann junior, der jedoch ein Alibi hatte; der Entlastungszeuge ist kurz drauf zu unverhofftem Reichtum gekommen.

Das Duo von der Kripo Nürnberg braucht natürlich nicht lange, um zu ahnen, dass die Schwestern – Auge um Auge – das Gesetz in die eigene Hand genommen haben. Als der Mörder – Zahn um Zahn – die beiden nach dem tödlichen Schusswechsel entführt, wandelt sich der Krimi zum Thriller. Der alte Dellmann hat die Vergeltungsaktion auf Druck seiner Frau (Ursina Lardi) zwar abgesagt, aber das Geschehen hat längst eine fatale Eigendynamik angenommen.

Auf einem Feld vor den Toren der Stadt kommt es schließlich zum Western-ähnlichen Showdown, in dessen Verlauf Ringelhahn zu einer äußerst ungewöhnlichen Maßnahme greift. Das ist nicht die einzige Irritation des Films: Immer wieder zeigen Färberböck und sein zum Co-Regisseur beförderter langjähriger Regieassistent Daniel Rosness die Mitwirkenden aus einer extremen Untersicht, was die Personen wie Figuren auf einem Denkmalpodest wirken lässt. Normalerweise soll eine derartige Perspektive Überlegenheit signalisieren, aber das passt in diesem Fall gar nicht. Befremdlich ist auch die immer wieder eingestreute und oft deplatzierte gute Laune; das gilt für die Gerichtsmedizinerin (Lisa Sophie Kusz) im Angesicht des Todes ebenso wie für Lisas Freund, den Florian Karlheim ihrer Trauer zum Trotz mit einer fritzwepperigen Heiterkeit versieht. 

Ungleich passender sind die philosophischen Anwandlungen der scheidenden Kommissarin: "Der liebe Gott hat den ganzen Dreck erfunden, damit wir das, was schön ist, mehr schätzen." Ihre zu Tränen rührende Verabschiedung ist tatsächlich bewegender als die Ereignisse, von denen die Familie Dellmann heimgesucht wird. Zu beiden Ebenen passt allerdings sowohl die in dunklen Tönen gehaltene Farbgebung (Kamera: Christoph Krauss) wie auch die düstere Musik (Richard Ruzicka); sie sorgt für einen an "Twin Peaks" erinnernden passenden Klangteppich, auf dem sich die Tragödie in all’ ihrer Tristesse entfalten kann.