Frankfurt a. M. (epd). „Motherfucker“ ist im Jugendhaus Mosbach heute nicht mehr so oft zu hören wie noch vor wenigen Jahren. Als es Christine Günther zu viel wurde, „führten wir eine Schimpfwort-Kasse ein: Für jedes Schimpfwort, egal in welcher Sprache, musste man 50 Cent einwerfen“, erzählt sie. Nach sechs Monaten war die Kasse mit 70 Euro gefüllt. Christine Günther ist in der badischen Kreisstadt Mosbach für Offene Jugendarbeit zuständig.
Freitags ist das Jugendhaus bis 22 Uhr geöffnet. Dann trudeln bis zu 50 junge Leute zwischen 10 und 25 Jahren ein. Seit 34 Jahren ist Günther in der Jugendarbeit aktiv. Dadurch ist sie mit der aktuellen Jugendkultur vertraut. Auch mit der Jugendsprache. Sie beobachte schon sehr lange, dass sich Jugendliche immer schlechter ausdrückten, sagt sie.
Christine Günther sieht die Sozialen Medien als Treiber eines Sprachverfalls. In den Netzwerken drückten Teenager ihre Gefühle durch Emojis und Schlagwörter aus, beobachtet Günther. „Dabei geht die Sprache kaputt“, sagt sie. Für viele ihrer Jugendlichen sei es nicht mehr selbstverständlich, ganze Sätze zu bilden.
Sarah Brommer, Linguistikprofessorin an der Uni Bremen, widerspricht diesem Eindruck. Es gebe einen Unterschied zwischen dem sogenannten textorientierten und dem interaktionsorientierten Schreiben. Ersteres sei das klassische, in der Schule gelernte Schreiben, letzteres die Kommunikation beispielsweise durch Emojis oder Kürzel. Dabei gehe es darum, Emotionen auszudrücken und im Dialog mit anderen zu sein. „Es gibt in den Studien keine Korrelation zwischen den Fähigkeiten zum text- und zum interaktionsorientierten Schreiben“, sagt sie. Soll heißen: Jugendliche beherrschen in der Regel beides.
Gestaltet Christine Gürtler einen Flyer, dann verwendet sie so wenige Wörter wie möglich: „Steht zu viel drauf, steigen unsere Jugendlichen aus.“ Im Jugendzentrum verkehrten eher selten Gymnasiasten. Wer aufs Gymnasium geht, lerne nach wie vor, sich gut auszudrücken: „Ich würde mir wünschen, dass in allen Schulen Sprache und Sprechen wieder nähergebracht würden.“
Das sei in der Tat ein Punkt, bestätigt Brommer, liege aber nicht an der Schule, sondern am sozialen Hintergrund von Gymnasiasten. „Bildung und damit die Sprache hängt vom sozioökonomischen Status des Elternhauses ab“, sagt die Forscherin. Das ist auch durch vergleichende Studien belegt. Wenn sich die soziale Schere öffne, sei erwartbar, dass sich Sprachkompetenz zunehmend ungleich verteile.
Aber in der Tat werde heute in der Schule weniger Wert auf das Pauken von Regeln gelegt, sagt Brommer. Heute gehe es mehr um Argumentationsfähigkeit. Tatsächlich belegt schon eine Studie aus den 1990er Jahren, dass Abiturarbeiten in den 1980er Jahren formal noch fehlerfreier, aber inhaltlich dürftiger gewesen sind als später. „Die Texte - und entsprechend würde ich das auf sprachliche Kompetenzen allgemein übertragen - haben sich also verändert, aber man kann nicht sagen, dass sie schlechter geworden sind“, erklärt Brommer.
Der österreichische Jugendkulturforscher Bernhard Heinzlmaier vertritt die Auffassung, dass der abnehmende Wortschatz bei Jugendlichen „zweifellos“ auf den medienkulturellen Wandel zurückzuführen sei. Medien als Sozialisationsinstanz hätten an Bedeutung gewonnen, während Politik, Schule, Vereine oder Religion verloren haben.
Es sei aber so, dass junge Leute heute mehr denn je kommunizierten, auch über Medien: „Sie kommunizieren nur eben anders.“ Ihre Fähigkeiten zur Bildkommunikation und -interpretation seien besser als die vorangegangener Generationen. Junge Leute könnten auch problemlos Infos aus mehreren Kanälen gleichzeitig verarbeiten. Das sei eine Anpassung auf eine sich veränderte Welt, in der diese Fähigkeiten gebraucht würden.
Auch Brommer sieht keinen Grund zum Alarmismus. Die Digitalisierung habe die sprachlichen Anforderungen, denen Jugendliche begegnen müssen, stark verändert. „Denn sie leben heute in sehr unterschiedlichen Sprachwelten und machen ihre Kommunikation notwendigerweise abhängig vom konkreten Kontext“, sagt sie. „Wenn ich mehr Zeit für den Erwerb von bestimmten Kompetenzen investiere, muss die Zeit für den Erwerb anderer Kompetenzen doch notwendigerweise abnehmen.“ Sprache habe sich schon immer gewandelt, und das müsse sie auch tun, um zu funktionieren.