Radikalisierung im Netz: Medienaufseherin fordert Umdenken

Radikalisierung im Netz: Medienaufseherin fordert Umdenken
11.09.2024
epd
epd-Gespräch: Dieter Sell

Bremen (epd). Mit Blick auf die zunehmende Radikalisierung etwa von Islamisten und Rechtsextremisten im Netz fordert die Bremer Medienaufseherin Cornelia Holsten ein gesellschaftliches Umdenken. „Wir beobachten, dass die Menschen sich an respektlose, beleidigende und auch strafbare Inhalte auf Social Media gewöhnt haben“, sagte die Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie resignierten mit dem Gefühl, „dass sie da sowieso nichts gegen machen können“.

„Desinformation, Hasskommentare und Radikalisierung können sich immer weiterverbreiten, weil die gesellschaftliche Empörung fehlt“, warnte Holsten. Beispielsweise über Schulungen und Workshops müssten Menschen dazu befähigt werden, diese Dinge nicht einfach so hinzunehmen. „Medienkompetenz betrifft uns alle. Sei es zum Beispiel zu wissen, wo und über welche Accounts ich meine Nachrichten beziehe, woran ich Fake News erkennen oder wie ich mit Hassrede oder drastischen Inhalten umgehen kann.“

Wie wichtig dieses Wissen ist, verdeutlichte Holsten an den ihren Worten zufolge zunehmend subtilen Strategien, mit denen Menschen auf Plattformen wie TikTok radikalisiert werden. Sie seien verbunden mit hochprofessionellen Videos. „Die Produzenten wissen genau, was zu tun ist, um in die Timeline oder in den Feed der Nutzerinnen und Nutzer zu gelangen.“ Das schaffe man beispielsweise durch reißerische Überschriften, die negative Gefühle ansprechen. „Angst, Wut, Empörung - das liebt der Algorithmus. Außerdem führen diese Gefühle in einen emotionalen Zustand, in dem die Menschen dazu neigen, den Verstand auszuschalten und viel leichter auf Weiterleiten und Liken klicken.“

Generell seien Krisen und Kriege und in der Folge Gefühle von Unsicherheit sowie Ängste ein Katalysator für Extremisten, erläuterte Holsten. „Das ist der Sauerstoff von radikalen Posts und Verschwörungsideologen.“ Die Ansprache sei emotional und unaufgeregt, das fühle sich harmlos an. Gleichzeitig werde versucht, Beziehungen aufzubauen. „Auf diese Weise wachsen die Leute in die Radikalisierung rein, es werden ihnen immer mehr vergleichbare ideologische Inhalte in die Timeline gespült.“

Die Sehnsucht der Menschen nach einfachen Antworten spiele radikalen Kräften zusätzlich in die Karten, warnte Holsten. „Die werden dann geliefert, verbunden mit einem Gefühl von Zuverlässigkeit, Sicherheit, Zugehörigkeit, Vertrauen.“ So entstünden Beziehungen, die häufig noch mit dem Thema Einsamkeit zu tun hätten, unter der viele litten. „Menschen möchten einfache Antworten und möchten dazugehören. Das gilt auch für diejenigen, die Diskriminierungserfahrungen gemacht haben und dann aus dieser Verletzung heraus feststellen: Hier wird mir zugehört, hier bin ich einer von den vielen.“